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Stiftung fordert »nationalen Pakt«

Finnland erhält für vorbildliche Arbeitsmarktpolitik den Carl-Bertelsmann-Preis 2006

Von Edgar Fels
und Markus Poch (Fotos)
Gütersloh (WB). Finnland hat für seine vorbildliche Initiative, ältere Menschen ins Berufsleben zu integrieren, gestern in Gütersloh den Carl-Bertelsmann-Preis erhalten. Liz Mohn, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, überreichte den mit 150000 Euro dotierten Preis an den ehemaligen finnischen Ministerpräsidenten Esko Aho.

Esko Aho kündigte vor 700 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an, das Preisgeld in Finnland weiterleben zu lassen, und zwar - dann sogar aufgestockt auf 450000 Euro - in einem neuen staatlichen Preis, der ebenfalls arbeitsmarktpolitische Ideen und Initiativen belohnen will.
Auslöser für die Arbeitsmarkt-Reformen in Finnland war eine Wirtschaftskrise zu Beginn der 90-er Jahre. Hinzu kam der Strukturwandel von einem Rohstoff produzierenden und verarbeitenden Land hin zu einem Technologiestandort mit einem hohen Weiterbildungsbedarf für ältere Arbeitnehmer. Auf diese Entwicklungen reagierte Finnland zwischen 1998 und 2002 mit einer parteiübergreifenden Aktion zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen älterer Menschen (FINPAW). Esko Aho war von 1991 bis 1995 Premierminister in Finnland.
Die Bertelsmann Stiftung fordert nun auch für Deutschland einen »nationalen Pakt« zur Überwindung der Beschäftigungsmisere älterer Arbeitnehmer sowie einen Mentalitätswechsel hin zu einem positiven Altersbild. »Das geht nicht von heute auf morgen«, sagte Liz Mohn. Sie hält dafür einen Politikwechsel für notwendig. Finnland habe gezeigt, dass es möglich ist, neue Wege zu gehen, die es älteren Menschen ermöglichen, frei zu entscheiden, wie und wie lange sie im Erwerbsleben stehen.
Die am Mittwoch von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering vorgestellte »Initiative 50 plus« sei allenfalls ein erster Schritt, sagte Dr. Johannes Meier, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. Diese Initiative konzentriere sich stark auf arbeitsmarktpolitische Instrumente. Ohne eine langfristige politikfeld-übergreifende Strategie könnten aber die wirklichen Ursachen für eine frühzeitige Ausgliederung Älterer, die hohen Arbeitskosten und die große Regulierungsdichte auf dem Arbeitsmarkt, nicht wirkungsvoll beseitigt werden, warnte Meier.
»Das ambitionierte Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2010 wenigstens 50 Prozent der über 55-Jährigen in Beschäftigung zu bringen, kann nur durch eine ressortübergreifende Kraftanstrengung unter Einbeziehung der Tarifpartner erreicht werden«, sagte Meier.
Wie wenig abgestimmt die Arbeit der Bundesregierung bei der Arbeitsmarktpolitik ist, wurde gestern deutlich: Während die Regierung einerseits Beschäftigungsimpulse setzen will, werden andererseits Milliarden-Beträge zur frühzeitigen Ausgliederung älterer Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozess ausgegeben. Zur Finanzierung vorgezogener Altersteilzeit hat die Bundesagentur für Arbeit allein im vergangenen Jahr einen Betrag von 1,1 Milliarden Euro ausgegeben, berichtete die »Leipziger Volkszeitung«.
Bertelsmann-Vorstand Gunther Thielen - selbst 64 Jahre alt - nannte es dramatisch, dass in Deutschland ältere Arbeitnehmer immer früher in die Rente entlassen würden. »Andererseits schaffen wir es nicht, ausreichend Ausbildungsplätze für die junge Generation bereitzustellen.« Dies sei ein »Armutszeugnis«.
Vladimir Spidla, der für den verhinderten Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) die Laudatio hielt, plädierte gegen eine weitere Frühverrentung. »Wir brauchen Anreize, um die Arbeit für Ältere attraktiver zu gestalten«, sagte der Brüsseler EU-Kommissar für Beschäftigung. S.4: Kommentar

Artikel vom 15.09.2006