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Bluttat im Autocontainer:
Vier Jahre oder lebenslang?

32 Messerstiche: Angeklagter reklamiert Notwehr

Von Uwe Koch
Bielefeld (WB). In Notwehr will der Busfahrer Ercüment Ca. im Dezember 2004 den Ehemann seiner Nichte getötet haben. Dieses Geständnis legte der 37-jährige Mann aus Mettmann Donnerstag vor dem Landgericht ab. Dort muss sich C. wegen des Mordvorwurfs erneut verantworten, weil er seinen Widersacher mit 32 Messerstichen förmlich abgeschlachtet hatte.

Es ist der dritte strafprozessuale Aufguss dieser Bluttat, die am 30. Dezember 2004 den Schlussstrich unter eine für Kurden typische Familienfehde zog. Ercüment Ca. war noch am Tattag in seinem Heimatort Heiligenhaus (Kreis Mettmann) von der Polizei festgenommen und am folgenden Tag in Bielefeld in Untersuchungshaft genommen worden. Im Sommer 2005 verhandelte das Schwurgericht des Landgerichts (10. Strafkammer) unter dem Vorwurf des Mordes aus niederen Beweggründen gegen den Busfahrer.
Die juristischen Einschätzungen gingen seinerzeit weit auseinander. Während Staatsanwalt Christoph Mackel den Mordvorwurf als bewiesen sah und eine lebenslange Freiheitsstrafe forderte, bewerteten die Verteidiger Ralf Lindrath (Bielefeld) und Detlev Stoffels (Paderborn) die Tat als einen Totschlag in einem minder schweren Fall. Vier Jahre Gefängnis seien als Sühne dafür ausreichend. Das Schwurgericht pendelte sein Strafmaß am 14. September 2005 in der Mitte ein, hielt elf Jahre Haft für einen Totschlag für angemessen. - Mit diesem Urteil hingegen waren die Richter des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofes (BGH) nicht einverstanden. Auf die Revision des Angeklagten hoben die Karlsruher Bundesrichter die Verurteilung am 16. Mai 2006 auf. Sie verwiesen den Fall zur Neuverhandlung an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurück.
Der BGH monierte, ein minder schwerer Fall des Totschlags sei vom Schwurgericht nicht ausreichend geprüft worden. Zudem sei die Herkunft der Tatwaffe nicht genügend geklärt worden.
Die Jugendkammer des Landgericht (3. Strafkammer) hat gestern das juristische Pingpong um das Leben eines Menschen aufgenommen und zunächst eine Verteidigererklärung statt einer Einlassung des Angeklagten erhalten. Rechtsanwalt Lindrath verlas die Sicht seines Mandanten zur Vorgeschichte, die in dem grausigen Geschehen im Autoverkaufscontainer am Stadtring gipfelte:
Das spätere Opfer Hakan Ce. und der Busfahrer hatten sich im Jahr 2001 durch den Bruder des Angeklagten kennengelernt. Als der bei der Rhein-Bahn angestellte Ercüment Ca. sein Wohnhaus renovierte, half ihm der 24-Jährige. Dabei lernte er auch die Nichte des Mannes kennen. Hakan Ce. verliebte sich in die 20 Jahre junge Nyket A. Entsprach das Verhältnis anfangs noch den Vorstellungen der Eltern der Frau, so gab es bald ernste Spannungen. Der 24-jährige Türke hielt sich illegal in Deutschland auf, hatte seine Einreise mit gefälschten griechischen Papieren erschlichen. Die Familie wandte sich von dem Freund der Tochter ab.
Der Liebe des jungen Paares tat das keinen Abbruch, im Gegenteil: Heimlich heirateten Hakan und Nyket, im August 2004 zog die Frau heimlich nach Bielefeld. Hilfe und moralische Unterstützung erhielten sie hier ausgerechnet vom Bruder des Busfahrers und von dessen Eltern. Nur wenige Tage später kam es deshalb zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf Ercüment Ca. seinen Bruder Sertac sogar angriff und verletzte.
Einen Tag vor Silvester habe er sich dann jedoch ein Versöhnungs-Szenario überlegt, sei mit diesem spontanen Plan nach Bielefeld gefahren. Im Autocontainer habe er statt seines Bruders indessen Hakan Ce. angetroffen. Nach einem Wortgefecht und massiven Drohungen habe Hakan Ce. ein Messer gezogen und ihn angegriffen. Das Messer habe er abwehren und dem Angreifer entwinden können, sagte Ercüment Ca. gestern. Dann habe er zugestochen - und für den Rest der Tat die Erinnerung verloren.
Das Opfer Hakan Ce. wurde grauenhaft verstümmelt gefunden, von 32 Messerstichen getroffen, die den ganzen Körper durchbohrt hatten. - Der Prozess wird fortgesetzt.

Artikel vom 15.09.2006