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Ein Bahnvorstand

»Ein Streik ist nur zu verhindern, wenn sich der Bund für den Erhalt mit Schienennetz entscheidet.«

Leitartikel
Streiken für das Netz

Falsche Signale von der Bahn


Von Bernhard Hertlein
Die Lok, die die Deutsche Bahn an die Börse bringen soll, ist entgleist. Erst entrüstet sich Hartmut Mehdorn in einem Mitarbeiter-Brief über die Entscheidung der Bundestags-Experten, die Bahn ohne ihr Netz an die Börse zu geben. Dann kündigt die Gewerkschaft Warnstreiks an. Vordergründig geht es ihr um den Beschäftigungssicherungspakt. Tatsächlich aber soll Unruhe geschaffen werden, um die Meinung im Bundestag noch zu kippen.
Für den Mann im Stellwerk, Mehdorn eben, geht es um viel. Von Anfang an hat er sich dafür stark gemacht, der Deutschen Bahn auch nach dem Börsengang die Verfügung über das Netz zu erhalten. Jetzt könnte der politische Schwenk dazu führen, dass der Börsengang um ein oder zwei Jahre verschoben wird. In dem Fall würde der dann pensionierte Mehdorn das Knallen der Sektkorken auf dem Parkett nur vom Fernsehapparat aus beobachten können.
Aber dürfen die persönlichen Ambitionen Mehdorns und selbst die Interessen der Belegschaft dazu führen, eine richtige Entscheidung wieder vom Gleis zu nehmen? Schon bei der Privatisierung der Telekom wurde es versäumt, das »Netz« in eine neutrale Obhut zu geben. Mit der Verfügung über die »letzte Meile« zum Endkunden hat das frühere Staatsunternehmen lange Jahre einen echten Wettbewerb im ortsnahen Bereich verhindert.
Im Energiebereich wiederholt sich jetzt der Streit. Nach wie vor weigert sich das Oligopol der Gas- und Stromanbieter, die »Nutzentgelte« für ihre jeweiligen Netzstrecken freiwillig zu senken.
Ähnlich könnte die privatisierte Bahn versucht sein, mit Hilfe der Gebühren für ein vom Steuerzahler geschenktes Netz die Konkurrenz auf Distanz zu halten. Schon jetzt klagen private Güterverkehre, dass ihre Anträge auf Netznutzung gelegentlich zur Folge hatten, dass die DB Cargo bei der Kundschaft anrief und ein besseres Angebot in Aussicht stellte.
Auch der Sicherheitsaspekt spricht dafür, Ausbau und Erhalt des Schienennetzes in staatlicher Obhut zu belassen. In Großbritannien, wo die konservative Regierung John Majors Anfang der neunziger Jahre die Weichen in die andere Richtung gestellt hat, waren die Folgen wenige Jahre später zu spüren. Als das marode gewordene Netz die ersten Unfälle mit Todesfolgen verursachte, musste der Staat zurückrudern. Der Rückkauf des Schienennetzes und die Instandsetzung kamen den Steuerzahler teuer zu stehen. Die Subventionen aber, die der Staat vorab an den privaten Betreiber bezahlt hatte, waren weg.
So schlimm muss es in Deutschland nicht kommen. Die Kunden der Bahn - Wirtschaft und Verbraucher - haben es in der Hand, so auf die Politik Einfluss zu nehmen, dass der Beschluss zur Trennung von Bahnbetrieb und Netz nicht doch noch zurückgenommen oder bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird. Die Gegner dieser Entscheidung haben ihre schweren Geschütze bereits auf die Schienen gebracht.

Artikel vom 14.09.2006