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machen«, aber häufig in Nachtarbeit bügeln oder schreiben. Der Mann muss auch mal ran, und meiner, wie jeder normale Vater, will das auch. Die Großeltern werden eingespannt, wenn sie möchten. Zum Glück möchten sie liebend gern. Sogar der Kinderarbeit machen wir uns schuldig. Aus dem Zitatenschatz ihrer Kommentare:

»Müssen wir heute schon wieder Zaun bauen?« (Zitat aus Antonia, meiner eigentlichen Doktorarbeit in Gestalt einer kreativen, energiegeladenen, klavierspielenden Ballettmaus, die mich seit neun Jahren mehr im Atem hält als die nachfolgenden Karriereschritte zusammen. Schlägt wohl nach mir.)

»Na gut, wie lange soll ich jetzt auf Cornelia aufpassen?« (Zitat aus Benedikt, meiner eigentlichen Habilitation, 8, unwilliger, aber hervorragender Schüler, begabter, kenntnisreicher Fußballer, den unsere Jüngste »Tor« nennt.)

»Mama nein Auto, Baby!« (Zitat aus Cornelia, meiner jüngsten Forschungsarbeit, noch Kurzsprache. Sie ist ja auch gerade erst zwei geworden. Äußerst lebendig, wissbegierig, gräbt aus, baut um, schläft ungern.)

Antonia, Benedikt, Cornelia - alphabetisch benannt. Bei uns gibt es täglich ABC-Alarm. Der familienfeindlichen universitären oder betrieblichen Mühle wollte ich mich nicht unterwerfen. Mit drei Kindern ist das eh unmöglich. Also habe ich mich selbständig gemacht und bin froh darüber. Klingt ganz einfach. Szenisch präsentiert sich das anschaulich, wenn Antonia einen Zickenanfall pflegt, Benedikt eine Jähzornsattacke auslebt, Cornelia nicht schläft, alle gleichzeitig krank werden, das Haus aussieht wie nach einem Staubmonsterangriff, der Papi sich als Lateinlehrer auf Alibis zurückzieht wie »Abitur!«/ »Latinum!«/ »Korrigieren!«, während mir ein Großauftrag mit kurzer Abgabefrist im Nacken hängt. Dann wünsche ich alle - einschließlich meiner hehren Mutterziele - auf den Mond..

Und mitten in dieser netten Szenerie tönt es vorwurfsvoll: »Die anderen Eltern haben ganz normale Berufe!« Tatsächlich hat nicht jeder Lateinlehrer und Ägyptologen als Erzeuger. Aber selbst mein Einwurf: »Aber ich bin doch jetzt Übersetzer, das ist ein ganz normaler, vernünftiger Beruf« wird mit einem gnadenlosen »Aber hier nicht!« quittiert.

In der Tat brauchen wir für die Sanierung unseres alten Bauernhauses, für die Reparatur von Fahrrädern und den Bau von Brennholzschuppen erheblich länger als die Durchschnittseltern rundum. Doch mittlerweile entdecken die lieben Kleinen auch Vorteile seltsamer Eltern: Sie wissen, was am Kruzifix INRI bedeutet, haben für fast jedes Thema Bücher zu Hause und dürfen sich ziemlich professionell als Mamas Sekretär/in am Telefon betätigen. Und können eher mal heimlich Schokolade mopsen und nachts im Bett lesen, wenn die Eltern übermüdet am Schreibtisch hängen.

»Was Müttern wie mir fehlt, ist Zeit: Zeit, um in Ruhe einzukaufen, statt mit der ganzen Sippe in einer halben Stunde durch den Markt zu wetzen. Zeit, am Wochenende etwas zu unternehmen.«
   Dann der Gipfel: »Mama, die Melissa hat es viiieel besser als ich. Mit der fährt ihre Mutter IMMER schwimmen!« Melissas Mutter schwimmt gern - ich nicht. Melissas Schwestern sind 20 und 17 Jahre alt. Bei denen muss man nicht mehr aufpassen, dass sie nicht untergehen. Melissas Mutter muss auch bestimmt nicht gerade jetzt die Steuererklärung beackern, zwei Handwerkertermine koordinieren, für den Lebensschutz-Verband einen Vortrag schreiben, den wöchentlichen Großeinkauf machen und mit einem Kunden über einen dringenden Auftrag verhandeln!

Was Müttern wie mir fehlt, ist Zeit: Zeit, um in Ruhe einzukaufen, statt mit der ganzen Sippe in einer halben Stunde durch den Markt zu wetzen. Zeit, am Wochenende etwas zu unternehmen. Beim Sportfest am Sonntag hatte Benedikt ein Spiel. Die anderen Eltern waren schon beim zweiten Bier. Benedikts Familie bretterte kurz vor Spielbeginn hin, nutzte das Zuschauen, um schnell noch etwas zu essen, und war unmittelbar nach dem Spiel auch schon wieder fort - ohne Bier.

Zeit, um einmal stundenlang zu tun, was Stunden braucht und auch verdient: Das ist mein größter momentan unerfüllbarer Wunsch. Im Wege steht die Wirklichkeit: 30 Minuten für die Hausarbeit, 30 Minuten zum Kochen, 30 Minuten zum Klavierüben mit Antonia, 20 Minuten zum Spielen mit Cornelia, 15 Minuten, um Benedikts Fußball-Infos aufzunehmen, 40 Minuten, um eine Übersetzung vorzubereiten etc. Mein Schreibtisch sieht aus wie Downtown von Los Angeles: Deckenkratzer aus Papier, wohin man sieht. Gott gebe mir einmal sechs Stunden am Stück zum Aufräumen!

Jeder Außentermin kostet etwa einen halben Tag Organisation. Kann ich Cornelia mitnehmen oder können irgendwelche Großeltern? Was für Termine haben die Kinder? Was isst mein Mann? Wem muss ich welche Zettel schreiben? Was muss ich vorher oder auf dem Weg besorgen oder danach erledigen, wen bei wem abholen oder -geben?

Mein einziges echtes Hobby momentan ist der Kammerchor - ein sehr geduldiger Kammerchor. Seit Cornelias Geburt nämlich bin ich entweder zu spät oder gar nicht gekommen. Wie denn auch? Das Kind will noch immer partout nur von Mama ins Bett gebracht werden.

Ich könnte es mir leichter machen: Berufe und ehrenamtliche Sachen erst einmal aufgeben. Ich hätte dann mehr Zeit. Ich wäre aber viel unglücklicher. Ohne glückliche Mutter wären es die Kinder auch nicht. Und was, wenn wir die Kinder gar nicht erst bekommen hätten? Karriere, richtig schlafen, reisen! Verlockende Vorstellung, ist es doch schon ein Genuss, wenn die Kinder eine Woche bei meinen Eltern sind; Genuss so für 2-3 Tage. Aber dann vermissen wir schon das Krähen von Cornelia. Und fehlt Antonias unvermeidliches »Momehent!«, wenn sie jemand ruft. Oder Benedikts Meldung: »Mama, ich spiele gerade die Partie Deutschland gegen Costa Rica nach.«

»Schon bei der Vorstellung, keine Kinder zu haben, überfällt mich Langeweile und ich bekomme Alpträume über die Sinnlosigkeit eines solchen Lebens.«
Also nein. Schon bei der Vorstellung, keine Kinder zu haben, überfällt mich Langeweile und ich bekomme Alpträume über die Sinnlosigkeit eines solchen Lebens. Wir wuseln also munter weiter. Manchmal erschöpft, aber immer überzeugt, dass es für uns so richtig ist. Haben wir damit nun ein gutes »Familienkonzept« gefunden? Danach werden Manfred und ich ja mitunter von Bekannten gefragt, die danach suchen.

Denen kann ich dann nur antworten, das wisse ich nicht. Aber den einen oder anderen Tip oder ein paar Zutaten könne ich schon geben: Kinder nicht wie Autos planen und behandeln, sondern sie weitestmöglich annehmen, wie sie kommen und sind; keinen eindimensionalen Lebensplan entwerfen - im Sinne von: BMW mit 23, Eigentumswohnung mit 28, Professor mit 40 und so weiter; Geld nicht zum Maß aller Dinge machen; flexibel bleiben; die Dinge selbst in die Hand nehmen und nicht auf den Staat vertrauen. Der Staat behandelt uns nämlich, als hätten wir keine Kinder. Obwohl wir ihm gewiss mehr einbringen, als wir ihn kosten, schröpft er uns, wo er kann, und immer noch warten wir auf die Steuererstattung - von 2004! Ohne gewissen Pioniergeist geht gar nichts.

Eigentlich wollte ich diesen Artikel jetzt abschicken. Aber es beginnt der Mittagswahnsinn: Kinder aus der Schule, Kochen, Essen, Reden, Hausaufgaben. Antonia zum Klavier, dann zur Bank, in den Buchladen. Benedikt zum Fußball, auf dem Weg Briefmarken und Hasenfutter kaufen...
Währendessen hat Cornelia das Manuskript und sich selbst vollständig bemalt.

Artikel vom 16.09.2006