14.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 


Hirninfarkt schon im Mutterleib

Ärzte ohne Schuld: Eltern verlieren 50 000-Euro-Klage gegen Kinderklinik

Von Uwe Koch
Bielefeld (uko). Betrübt verließ ein Elternpaar aus Steinhagen den Saal des Bielefelder Landgerichtes. Seine Klage auf Zahlung von 50 000 Euro Schmerzensgeld gegen die Kinderklinik Bethel war von den Richtern abgewiesen worden. Den Vorwurf, Ärzte und Pflegepersonal hätten einen Hirninfarkt des damals erst zwei Monate alten Säuglings nicht erkannt, bezeichnete ein Sachverständiger als völlig haltlos.

Die kleine Julia war im Januar 2000 geboren worden. Anfang März kam es zum ersten Krankenhausaufenthalt in Gilead, unter anderem weil das Kind eine schwere Bronchitis hatte. Nach der Entlassung stellten die Eltern ihre Tochter am 15. März erneut in der Kinderklinik vor. Man habe seinerzeit auf »Verkrampfungen« der Gliedmaße hingewiesen, hieß es später in der Klageschrift zum Landgericht Bielefeld.
»Es gab keine Ruhe um Julia«, sagte Klinikleiter Professor Dr. Johannes Otte vor der 4. Zivilkammer. Ultraschall-Untersuchungen bestätigten denn auch eine Woche darauf den schlimmen Verdacht. »Wir haben den Eltern mitgeteilt, dass wir eine schwere Durchblutungsstörung im Gehirn festgestellt haben, der auf einen pränatalen Infarkt schließen lässt«
Otte bekräftigte damit noch einmal, dieser Schlaganfall sei noch im Mutterleib geschehen. Die Eltern indes gaben sich nicht zufrieden. Ihrer Ansicht nach hatte Julia den Media-Infarkt (nach einer Schlagader so bezeichnet) während des Klinikaufenthaltes erlitten, angeblich unter den Augen von Ärzten und Pflegepersonal. Die Eltern verklagten die Gilead GmbH auf Zahlung von 50 000 Euro Schmerzensgeld und die Feststellung künftiger Folgeschäden, denn Julia leidet noch heute als Sechsjährige unter den Folgen. Sie hat motorische Störungen und ihre Sprachfähigkeit ist eingeschränkt.
Der renommierte Essener Kinderarzt Professor Dr. Thomas Voit wies die Anschuldigungen gegen die Kinderklinik Bethel als unberechtigt zurück. »Ein Media-Infarkt bleibt dem geschulten Beobachter nicht verborgen«, sagte der Gutachter vor der 4. Zivilkammer. Ein Schlaganfall, bei dem Teile des Gehirns vernichtet würden, habe schwerste Folgen, insofern könne man nicht nur von Verkrampfungen sprechen. »Glauben Sie, eine solche Akuterkrankung bliebe unbemerkt?« fragte Voit. Ärzte und Pflegepersonal »müssten schon mit Blindheit geschlagen sein«. Im übrigen seien die Enzymwerte im Blut »normal« gewesen, der akute Verlust von Gehirnmasse dagegen hätte die Werte massiv erhöht.
Hirninfarkte im Mutterleib seien eben keine seltene Erkrankung, es gebe drei Fälle auf 1 000 Geburten. Die Babys würden fast immer unauffällig und offensichtlich gesund geboren. Im Alter von zwei Monaten seien die Schäden nur sehr schwer, mit vier bis fünf Monaten deutlicher zusehen, weil dann die Greifmotorik der Hände nicht funktioniere. Julia habe zweifellos keinen Schlaganfall in der Klinik erlitten. - Die Kammer unter Vorsitz von Volker Sprute wies danach die Klage ab. Az. 4 O 608/04

Artikel vom 14.09.2006