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Abschied von einem Ergründer
der deutschen Vergangenheit

Publizist und Hitler-Biograph Joachim Fest im Alter von 79 Jahren gestorben

Von Jörn Bender
Frankfurt/Main (dpa). Die deutsche Vergangenheit, die auch seine persönliche war, hat ihn zeitlebens nicht losgelassen. Der Name Joachim Fest war spätestens seit seiner Aufsehen erregenden Hitler-Biografie aus dem Jahr 1973 kaum zu trennen von der Aufarbeitung der Nazi-Zeit. Am Montagabend ist der Historiker und Publizist im Alter von 79 Jahren gestorben.
Joachim Fest mit seinem Vater Johannes, der das Nazi-Regime ablehnte.

Wie die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« gestern berichtete, starb ihr langjähriger Herausgeber nach einer Monate währenden Krankheit in seinem Haus in Kronberg im Taunus.
Kurz vor seinem Tod hatte Fest noch seine Autobiografie (»Ich nicht«, Rowohlt) fertig gestellt, die am 22. September erscheinen soll. In den Erinnerungen an seine Kindheit und Familie zeigt Fest, dass es in der Hitler-Zeit möglich war, sich dem Zeitgeist zu widersetzen.
Von seinem Vater Johannes, einem Oberschulrat und überzeugten Katholiken, habe er diesen »Wahlspruch seines Lebens übernommen«, der zum Buch-Titel wurde: »Das Petrus-Wort aus dem MatthäusEvangelium: Und wenn alle es tun - ego non. Ich nicht!« In den politisch unruhigen 30er Jahren prägte das regimefeindliche Elternhaus den am 8. Dezember 1926 in Berlin geborenen Fest. »Ich bin preußisch erzogen«, sagte Fest, der sich im Nachkriegsdeutschland einen Namen als »großer Konservativer« machte und von 1973 bis 1993 Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« war.
Für ein politisches Lager ließ sich Fest nicht vereinnahmen. Er nannte Konrad Adenauer (CDU) und Helmut Schmidt (SPD) in einem Atemzug »die bedeutendsten Kanzler der Republik« und bot zuvor als Chefredakteur des Norddeutschen Rundfunks (1963-1968) Hamburger Lokalpolitikern die Stirn, die mehr CDU-Gewicht in der Personalpolitik des Hauses forderten. Die Konsequenz: Fest, der kurzfristig CDU-Abgeordneter in Berlin-Neukölln war, wurde aus der Partei ausgeschlossen - was er nicht wirklich bedauerte: »Das politische Engagement war ein Irrweg, ich gehörte da nicht hin.«
Stattdessen suchte er andere politische Auseinandersetzungen: Ausgerechnet mit Ulrike Meinhof, der späteren RAF-Terroristin, verband ihn eine Freundschaft.
Historiker-Kollegen warfen Fest ungeachtet seines Erfolgs vor, Adolf Hitler zu einer »großen weltgeschichtlichen Persönlichkeit« stilisiert zu haben. Gerügt wurden auch Fests Arbeiten über Hitlers Chefarchitekten Albert Speer: »Lügen, Halb- und Unwahrheiten« seien unwidersprochen aneinander gereiht, kritisierte der Holocaustforscher Götz Aly.
Dass er keine Scheu vor Kontroversen hat, bewies Fest als »FAZ«-Feuilletonchef: 1986 bot er dem Historiker Ernst Nolte ein Forum, der den Massenmord der Nazis an Juden als Reaktion auf frühere Gräueltaten während der Russischen Revolution relativierte. Es folgte der »Historikerstreit« über die Gewichtung der Judenvernichtung in der deutschen Geschichte. Später verteidigte Fest, er habe Noltes Auffassung zwar für falsch gehalten. »Aber er hatte alles Recht, sie einmal in dieser Gesellschaft zu äußern.«
Sein Lebensthema wurde zum Lebenswerk, für das der Historiker und Publizist viele Auszeichnungen erhielt - darunter den Henri-Nannen-Preis (2006), den Ludwig-Börne- Preis (1996) und den Lübecker Thomas-Mann-Preis (1981). Fests Werk »Der Untergang«, in dem er Hitlers letzte Tage schilderte, wurde Grundlage einer auch international beachteten gleichnamigen Verfilmung.
Mit dem Tod von Joachim Fest verliert Deutschland nach den Worten von Bundespräsident Horst Köhler »einen Menschen, der als Journalist, als Historiker und als Herausgeber jahrzehntelang die geistige Kontur unseres Landes mitbestimmt hat«. An seinen Büchern und Aufsätzen sei oft ihr Stil gerühmt worden - »mit Recht, atmen sie doch seine Persönlichkeit«, betonte Köhler in seinem Kondolenzschreiben Der Historiker Arnulf Baring bezeichnete Fest als eine »außerordentlich bedeutende Persönlichkeit des bürgerlichen Deutschland«.

Artikel vom 13.09.2006