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Olympionike
will »Brücke
schlagen«

Oesterling trainiert SchwimmTeam

Von Jörg Manthey
Bielefeld (WB). Der Zen-tralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) sei Dank. Eigentlich hatte sich Johannes Oesterling die Universitäten in Bochum oder Köln auserwählt, um ein Jurastudium aufzunehmen. Stattdessen verschlug es den 23-jährigen Freistil-Spezialisten an die Uni Bielefeld.

Das SchwimmTeam Bielefeld landete so unverhofft einen Glückstreffer. Schließlich war der Neue im STB-Trainerteam in seiner aktiven Zeit Weltmeisterschaftsdritter mit der deutschen Staffel (Barcelona, 2003) sowie Olympiateilnehmer in Athen.
Der Grund, warum Johannes S. Oesterling sämtliche Ambitionen für Peking 2008 sausen lassen musste und sich stattdessen ins Studium der Rechtswissenschaften stürzte, ist wenig erfreulich: Es war die Bandscheibe, die seine Träume zerstörte. »Ich habe zwei Bandscheibenvorwölbungen. Ende 2005 konnte ich mich gar nicht mehr bewegen,« sagt Oesterling, der von Spezialisten des Groenemeyer-Institutes in Bochum drei Mal operiert wurde. Die Rückenschädigung war jedoch so schwerwiegend, dass ihm klipp und klar zu verstehen gegeben wurde: Ende mit dem leistungsmäßigen Schwimmen - stattdessen lebenslang Gymnastik. »Meine Bandscheiben zeigen Abnutzungserscheinungen wie bei einem 40-Jährigen,« nahm Oesterling das Karriere-Aus recht gefasst auf. Endlich hatte er Gewissheit.
Seinen sportlichen Zielen und Bestzeiten hatte Johannes Oesterling stets alles untergeordnet. Aus seiner Heimatstadt Stadtallendorf in der hessischen Provinz wechselte er 2004 nach Wuppertal zum SV Bayer, lebte und trainierte ganz in der Nähe des Schwimmleistungszentrums Küllenhahn. In seinem neuen Leben hat es ihn (unfreiwillig) an den Teuto verschlagen. Oesterling wohnt direkt am Jahnplatz und hat sich »überraschend positiv« eingelebt. Über die Trainingsbedingungen im Ishara könne man sich »nicht beschweren,« die Einteilung der Gruppen sei »gut strukturiert.«
Bei einer Körpergröße von 1,91 Meter und 74 Kilogramm Gewicht klingt es schlüssig, wenn der Schlaks anmerkt, über »relativ wenig Muskulatur« zu verfügen. Womöglich das Grundübel für seinen frühen Ausstieg. Wie brutal sich Sünden der Vergangenheit rächen können, musste er ja am eigenen Leib erfahren. Um derlei Spätschäden bei den STB-Talenten vorzubeugen, ist Trockentraining mit kreativen Kräftigungsübungen so etwas wie Oesterlings Steckenpferd geworden. Trocken, ja; Kopf und Spaß kommen indes nicht zu kurz. »Konsequentes Landtraining ist nicht mehr wegzudenken und liegt mir sehr am Herzen. Für eine schnelle Wende etwa musst du dich stark abstoßen können,« erläutert er und bittet sich von Svenja Deters, Maurice Kahles, Tabea Mund und Co. Konzentration aus. »Wenn ich eine gerade Zahl sage: Strecksprung. Bei einer ungeraden springt Ihr nicht.« Oder: »Bei 1 macht Ihr eine Liegestütze, bei 2 eine Kniebeuge, bei 3 steht Ihr aus dem Schneidersitz auf, ohne Handeinsatz.« Im flotten Wechsel heißt es 1, 3, 2, 1, 3 . . . . - klar, dass nicht alles reibungslos klappt und sich köstlich amüsiert wird.
Zu wenig Hallenzeiten: Das ist ein Kritikpunkt, den Oesterling inzwischen äußern kann. Normalerweise müssten die Umfänge erheblich gesteigert werden. »Der Hendrik Deters etwa hat viel mehr drauf, als er zeigt. Er hat die besten Anlagen, ist technisch ziemlich fit, müsste aber mehr Schweiß aufwänden.« Im Alter zwischen 14 und 16 würden die Grundlagen ausgebildet. »Darauf gilt es den Fokus zu legen,« wünscht er sich »mehr Schmackes«. Heute alles dafür tun, damit du in zwei Jahren Bestzeit schwimmst und in vier Jahren noch aufrecht gehen kannst: Derlei »weitreichendes Denken« möchte Johannes Oesterling in den Verein tragen. Mithelfen, ein Bewusstsein für Mehr, den »letzten Biss« zu wecken.Der Student sieht sich als »Mittler, die Einblicke von ganz oben ohne das Hochgestochene dosiert weiter zu geben. Ich möchte eine Brücke schlagen und hier einen gewissen Grundstein etablieren.«
Johannes Oesterling kommt an mit seiner Art und als Idol: Der Talentschuppen ist eifrig bei der Sache. »Es wäre an der Realität vorbei, hier Olympiaschwimmer ausbilden zu wollen. Dennoch geht es darum, sich Ziele zu setzen. Jeder muss sich eingestehen, dass das mit Aufwand verbunden ist. Und je höher der Aufwand, umso höher muss die Disziplin sein.« Johannes Oesterling hat zwölf- bis 14 Mal pro Woche trainiert »und auch das Abitur bestanden. Für mich war es eine persönliche Katastrophe, wenn ich früher mal nicht zum Training konnte.«

Artikel vom 14.09.2006