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»Europa lässt es zu, dass Handel und Menschenrechte voneinander getrennt
werden.«

Leitartikel
China

Zensur
ohne rot
zu werden


Von Reinhard Brockmann
Wenigstens der unermüdliche Günter Nooke, DDR-Bürgerrechtler und heute Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, hatte vor dem Deutschlandbesuch des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao den Mut, das Nötigste zu sagen: Die allseits bewunderte Wirtschaftsmacht verletzt Grundrechte fundamental und ohne rot zu werden.
Die jüngst verfügte Verschärfung der Zensur und Monopolisierung von Auslandsnachrichten lassen für die Informationsfreiheit in China - 2008 sind Olympische Spiele - nichts Gutes erwarten. Nooke weiß wovon er spricht, wenn er den Kontrollwahn staatlicher Stellen beklagt.
Die »Reporter ohne Grenzen« verlangen, deutsche Politiker dürften sich nicht auf Wens Forderung einlassen, Handel und Menschenrechte voneinander zu trennen. Aber genau das wurde beim Europa-Asien-Gipfel in Helsinki am vergangenen Wochenende beschlossen. Alle gut gemeinten Appelle verhallen über die Köpfe der roten Mandarine hinweg. Ihre Schwäche für kapitalistische (Eigen-)Wirtschaft macht sie für Europas Wirtschaft unwiderstehlich.
Europa selbst hat den Schmusekurs gegenüber China gewählt. Dass Patente missachtet, technische Leistungen gnadenlos kopiert und Rücksicht bei allem Lächeln niemals genommen wird, haben die Langnasen aus Europa längst begriffen. Dennoch vereinbart die EU mit China, die »Beziehungen auf eine neue Basis zu stellen«.
Auch schadete es dem Premier nicht im geringsten, dass die Nachricht vom neuen Maulkorberlass genau in die Verhandlungen platzten - weiß er doch, dass die EU in Menschenrechtsfragen seit langem ein Auge zudrückt. Nur aus Gründen der Optik bleibt es bei dem Waffenembargo, das 1989 anlässlich eines offenbar längst vergessenen Massakers verhängt wurde, das das Totenstille statt himmlischen Frieden im fernen Reich der Mitte auslöste.
Jetzt also zensierte Berichte auch für uns in Europa: Westliche Journalisten müssen sich fügen, wenn sie bleiben wollen. Mehr noch, soeben ist der Korrespondent einer ausländischen Zeitung in Peking zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Vorwurf: Spionage.
Die Deutschen diesseits und jenseits der ehemaligen innerdeutschen Grenze wissen noch zu genau, wie schnell politische Berichterstattung als Landesverrat ausgelegt werden kann, wenn Regierende selbst festlegen, was - für sie - schädlich ist.
Es wird sich zeigen, wie weit die Selbstzensur demnächst geht. So hat der 90-jährige ehemalige Privatsekretär Mao Tse-tungs dieser Tage heftige Kritik an dem vor 30 Jahren verstorbenen Staatsgründer geübt. Li Rui erklärte, Mao sei für den Tod von 30 Millionen Menschen verantwortlich.
Wie wollen europäische Zeitungen mit eigenem Büro in Peking künftig mit einer solchen Nachricht umgehen? Mit Rücksicht auf die Sicherheit des Korrespondenten vor Ort könnte die Darstellung auch in den westlichen Medien etwas kleiner ausfallen.

Artikel vom 15.09.2006