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Nächstenliebe ist Gerechtigkeit
und ein Prüfstein des Glaubens

Eine sehr spirituelle Predigt beeindruckt 250000 bei Messe in München

Von Christoph Gahlau
und Jürgen Balthasar
München (dpa). Mit leisen Tönen, aber unmissverständlich hat Papst Benedikt XVI. mehr soziale Verantwortung der Christen eingefordert. Vor 250 000 Menschen leitete er gestern in München einen großen Gottesdienst unter freiem Himmel.

Mit Gott, sagte der Papst, sei stets das soziale Thema verbunden - nämlich die gegenseitige Verantwortung füreinander sowie »für die Herrschaft von Gerechtigkeit und Liebe in der Welt«.
Benedikt nahm damit wieder das Thema seiner ersten Enzyklika »Deus caritas est« (Gott ist Liebe) auf. »Die Nächstenliebe, die zuallererst Sorge um die Gerechtigkeit ist, ist der Prüfstein des Glaubens und der Gottesliebe«, betonte der Heilige Vater in seiner Predigt auf dem Münchner Messegelände.
Die Enzyklika hatte als bewegender Aufruf zur Mitmenschlichkeit viel Aufmerksamkeit gefunden, zumal die erste Enzyklika eines Papstes in Rom als »programmatisches Signal« für das Pontifikat gilt. Darin hatte es geheißen, dass Gottes- und Nächstenliebe untrennbar miteinander verbunden seien und dass die Kirche im Ringen um eine gerechte Gesellschaft nicht abseits stehen dürfe. In seiner Münchner Predigt variierte der Papst sein Grundthema anhand einer Geschichte aus dem Markus-Evangelium, in der Jesus einen Taubstummen heilt. »Jesus wendet sich den Leidenden zu, denen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind«, sagte Benedikt. »Das geht natürlich uns alle an: Jesus zeigt die Richtung unseres Tuns an.«
Und natürlich griff der Papst - er trug ein grünes Priestergewand - mit dem zunehmenden Glaubensverlust auch ein anderes Thema auf, das ihm große Sorgen bereitet. Er forderte die westliche Welt zu einer Rückbesinnung auf die christlichen Werte auf: »Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden.«
Die Teilnehmer des Gottesdienstes, die schon in den frühen Morgenstunden mit Bussen und Sonderzügen angereist sind, zeigen sich tief ergriffen von der Messe mit dem Papst. »Die Predigt war nicht theologisch abgehoben. Mit seiner Botschaft hat er den Nagel auf den Kopf getroffen«, meint Elektroingenieur Johannes Wagner (43) aus dem oberbayerischen Waging. »Es war einfach schön und ein tolles Erlebnis.« Wagners Ehefrau Roswitha ergänzt: »Ich fand, die Leute haben toll mitgefeiert.«
»Für mich war die große Gemeinschaft sehr beeindruckend. Besonders gut hat mir seine Predigt gefallen«, sagt die Münchner Ordensschwester Mathilde. »Die Predigt des Papstes fand ich sehr verständlich«, erklärt Gärtner Robert Schmid (31) aus Markt Schwaben. »Es war eine tolle Atmosphäre«, findet auch Pfadfinderin Julia Wolrab (17) aus Neumarkt: »Wir haben auch viele Leute aus anderen Nationen getroffen, zum Beispiel aus Italien, Bolivien, der Schweiz und Dänemark.« Dass die Zuhörer bis auf die Ehrengäste während der zweistündigen Messe stehen mussten, hat der guten Stimmung keinen Abbruch getan. Aber alle sind froh, dass das Wetter mit strahlendem Sonnenschein und weiß-blauem Himmel mitgespielt hat. Denn Regenschirme waren aus Sicherheitsgründen verboten.
Die Gläubigen - viele in bayerischer Tracht, die Männer mit prächtigen Gamsbärten an den Hüten - hatten den Papst schon bei dessen Eintreffen auf dem Messegelände mit Beifall, Jubel und »Benedetto«-Rufen begrüßt. Viele schwenken auch bei der Abfahrt begeistert ihre Fähnchen in den bayerischen Landesfarben Weiß und Blau sowie in den Farben des Vatikans Gelb und Weiß. Auch für den zehnjährigen Christoph aus der Allgäuer Gemeinde Amberg bei Buchloe wird die Münchner Messe ein Erlebnis bleiben: »Einfach unvergesslich.«

Artikel vom 11.09.2006