09.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Von Kirche bis Pfarrer - alles auf dem Prüfstand

Gemeindeversammlung berät dramatische Finanzlage

Von Kendra Taktak (Text und Fotos)
Sennestadt (WB). »Unsere Finanzsituation ist dramatisch schlecht!« Mit diesen Worten eröffnete Pfarrer Reinhard Ellsel am Donnerstagabend eine Versammlung im Gemeindehaus der Jesus-Christus-Kirche. Das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde Sennestadt hatte eingeladen, um über die desolate Finanzlage zu informieren. Mehr als 90 Gemeindeglieder diskutierten engagiert mögliche Lösungsansätze.

Dem regen Gedankenaustausch voran gingen Kurzberichte über die aktuellen Entwicklungen der Finanzen, der Arbeitsbereiche Kindertagesstätten, Jugend und Kirchenmusik sowie über die Situation der Pfarrer und Gebäude. »Wir wollen noch in zehn Jahren eine lebendige evangelische Kirchengemeinde sein«, formulierte Pfarrer Ellsel das übergreifende Ziel und sprach allen Anwesenden aus dem Herzen.
Kirchmeister Volkhard Dietrich klärte über die Ursachen der Misere auf. Geburtenrückgänge und Kirchenaustritte verringerten die Einnahmen, und der hohe Rentner- und Arbeitslosen-Anteil bei den Gemeindegliedern verschlimmere die Lage. Hinzu kämen Umverteilungsmaßnahmen der Landeskirche, die nachteilig für die Sennestädter Gemeinde ausfielen. Verschärfend wirke sich mit steigenden Steuern und Streichungen von Fördergeldern die Haushaltspolitik der öffentlichen Hand aus. Pfarrer Ellsel nannte Zahlen: »Bei einem Haushaltsvolumen von 1,5 Millionen fehlen uns jährlich 130 000 Euro.« Dietrich betonte, es gehe hier nicht nur um Geld, »sondern um unsere Stellung in der Gesellschaft!«
Mit Kurzberichten zu den Arbeitsbereichen brachte Pfarrer Dr. Manuel Schilling die Zuhörer auf den aktuellen Stand. Bei den Kindertagesstätten mache ein neues Gesetz die Finanzierung ungewiss; außerdem seien künftig auch die Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren sowie flexiblere Betreuungszeiten angesagt. »Eine Strategie könnte die Schließung des Standortes Jadeweg zwischen 2007 und 2009 sein«, erklärte Schilling. Auch werde über die Umwandlung von Hortgruppen in größere Gruppen mit gemischter Altersstruktur nachgedacht.
Bei der Kirchenmusik sei die zukünftige Finanzierung der einzigen hauptamtlichen Stelle, besetzt mit der Kantorin Dorothea Schenk, ungewiss. Noch werde mit den anderen Gemeinden im Verband verhandelt, um »ein Maximum an kirchenmusikalischen Gruppen - inklusive der vollen Stellen - zu erhalten«, berichtete Schilling. Eventuell werde jedoch eine Spendenfinanzierung nötig.
Im Arbeitsbereich Jugend sei die vormals volle Stelle eines Gemeindepädagogen bereits auf 75 Prozent gekürzt; nun werde auch der Erhalt dieser Stelle ungewiss. »Eine Lösung könnte sein, die Jugendmitarbeiter nicht mehr bei den Kirchengemeinden, sondern nun direkt beim Verband anzustellen«, eröffnete Schilling.
Eng wird es auch für die Sennestädter Pfarrer: Presbyter Ulrich Klemens berichtete, dass in der Kirchengemeinde 3,75 Stellen mit vier Pfarrern besetzt sind. »Dabei stehen unserer Gemeinde höchstens 2,75 Stellen zu«, sagte er. Nach Vorgabe des Kirchenkreises sei nun also mindestens eine Dreiviertel-Stelle zu streichen. »Entweder wird 2007 eine frei werdende Stelle in Schloß Holte-Stukenbrock mit einem Sennestädter Pfarrer besetzt, oder der Stellenumfang aller Pfarrer in Sennestadt wird linear gekürzt«, erläuterte Klemens die Handlungs-Möglichkeiten.
Schließlich unterrichtete Pfarrer Dr. Carsten Glatt die Versammlung über die Gebäude-Situation. Die Vision sei, bis 2011 ein Gebäude einzusparen; nach 2021 solle außerdem nur noch ein multifunktionales Gemeindezentrum betrieben werden. Ob Gebäude verkauft oder vermietet und ob für das Gemeindezentrum Um- oder Neubauten angegangen werden, müsse noch diskutiert werden - bis Anfang 2007, dann solle die Entscheidung fallen. Zu überlegen sei auch, die Kreuzkirche und das Paul-Gerhard-Haus so lange bestehen zu lassen, wie die Fördervereine sie finanzieren können.
Nach den Vorträgen hatten die Besucher Gelegenheit, bei einem »Steh-Kaffee« die Informationen sacken zu lassen. Viele notierten ihre Meinung auf Pinnwand-Zettel. Aus denen ergab sich das Gespräch im Plenum, bei dem die Versammelten angeregt mit den Vortragenden diskutierten. Pfarrer Ellsel fand es »echt toll«, wie sich die Gemeinde an diesem Abend engagierte. Überhaupt mache die hohe Unterstützungs-Bereitschaft Hoffnung. Das Presbyterium zähle auch weiterhin auf die Sennestädter Bürger: »Die Gemeindevertreter sind immer offen für Ideen und Gespräche.«

Artikel vom 09.09.2006