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»Benedikt ist katholisch-faszinierend, politisch-inspirierend und gewiss weiter überraschend.«

Leitartikel
Der Papst in Bayern

Erst Gott
und dann
die Welt


Von Reinhard Brockmann
Eine gewisse Schwerhörigkeit vieler Menschen im Westen Gott gegenüber hat Papst Benedikt XVI. gestern vor 250 000 Gläubigen in München beklagt.
Bei seiner Landung am Samstag in Deutschland, das auch die Heimat Martin Luthers ist, deutete Bundespräsident Horst Köhler seinerseits ein gewisse Schwerhörigkeit der römischen Weltkirche der Ökumene gegenüber an. Er wünsche sich Fortschritte im Verhältnis der beiden großen christlichen Bekenntnisse, sagte Köhler an der Seite der evangelischen Pastorentochter Angela Merkel. Der frühere Kardinal Ratzinger weiß um die Diskussion in Deutschland genau Bescheid. Deswegen ist seine spontane Antwort begrüßenswert: »Sie sprechen mir aus dem Herzen. Auch wenn man 500 Jahre nicht einfach bürokratisch oder durch gescheite Gespräche beiseite schieben kann - wir werden uns mit Herz und Verstand darum mühen, dass wir zueinander kommen.«
Inhaltlich bleibt die Antwort unbefriedigend. Nicht 500, aber bald 50 Jahre wirkt Ratzinger selbst auf diesem Gebiet mit. Nicht einmal die gemeinsame Kommunion ist seit den Zweiten Vatikanum möglich geworden. Der Katholik Ratzinger versteht und begründet das aus tiefstem Glauben. Die meisten Deutschen wollen dem trotzdem nicht folgen.
Für sie ist das gemeinsame Abendmahl Inbegriff christlicher Begegnung und Gastfreundschaft. Nicht nur der große Protestant Frère Roger sondern auch viele andere Nichtkatholiken haben hierzulande schon die heilige Kommunion selbst aus den Händen von Bischöfen erhalten. Weshalb also zeigt sich Rom weiterhin schwerhörig?
Darauf wird der wiederum begeisternde und viele Menschen wahrhaftig beglückende Papstbesuch in Bayern keine direkte Antwort geben. Die indirekte liegt dagegen offen: »Mein Wunsch ist es, dass alle meine Landsleute in Deutschland sich aktiv an der Weitergabe der grundlegenden Werte des christlichen Glaubens beteiligen«, predigt Benedikt XVI. und will den innersten Bund mit Gott neu wachsen lassen. Erst das Verhältnis zum Schöpfer, dann zur Schöpfung mit ihren vielfältigen sozialen, politischen und strukturellen Verwerfungen. So lautet die römische Wegweisung.
Unmissverständlich auch, was der Papst zur Ehrfurcht vor Gott und vor dem, was anderen heilig ist, sagt. Voraussetzung sei, dass wir selbst die (einst verlorene) Ehrfurcht vor Gott wieder lernen. Will sagen: Wer seinem Gott nicht spottet, der will auch keine Mohammed-Karikaturen. Benedikts Hinweis, dass außerhalb Europas viele vor einer Vernünftigkeit erschrecken, die Gott total aus dem Blickfeld verliert, beinhaltet sogar eine ausgestreckte Hand an gläubige Muslime.
Benedikt ist katholisch-faszinierend, politisch-inspirierend und in den kommenden Tagen gewiss weiter überraschend. Deshalb schätzen ihn die Deutschen, selbst wenn sie ihm auf einzelnen Gebieten fehlende Hörschärfe unterstellen.

Artikel vom 11.09.2006