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Versorgungsanstalt samt Wäscherei, Küchennutzung und Internetanschluss

Mama Kammerdienerin grüßt Töchterchen Prinzessin
Von Birgit Weidt


»Siehst du verboten aus, Mama!« - Natürlich sah ich nicht mehr frisch aus, als ich, schielend vor Müdigkeit, um halb vier morgens gewaltsam die Abschiedsfeier meiner Tochter sprengte. Das hübsche Kind hatte wenige Stunden später nicht nur einen 14-Stunden-Flug in die Tropen vor sich, sondern wird dort auch die nächsten Jahre bleiben, um das Abitur zu machen und zu studieren.

Tja, das war's also - Kind ade. Für mich war es nun die letzte Aktion in Sachen Nächte um die Ohren schlagen, was Erziehung wohl auszumachen scheint - in der Kleinkindphase das benebelte Aufspringen bei brüllenden Kontrollrufen nach Mama, später dann das Warten auf dem Sofa, mit flachem Atem und aufgestellten Ohren wachend, bis endlich im Morgengrauen der Schlüssel im Schloss drehte.

Nach Abflug meiner Tochter wurde ich also vom Dienst suspendiert - dies war vorerst meine letzte Aufgabe als Kammerdienerin für die Prinzessin samt Hofstaat. Ob ich am Tage danach, in der kinderleeren Wohnung, Erleichterung verspürte? Ja, aber nicht nur. Schlimmer noch, eine Frage schlich sich in mein Gemüt: Wozu eigentlich ein Kind - wenn es dann plötzlich verschwindet, ohne Danksagung an 17 Jahre mütterliche Strafarbeit.

Einfach weg, spurlos, wenn da nicht unzählige Erinnerungsstücke an die ursprüngliche Anwesenheit eines liebenswerten Diktators Zeugnis ablegen würden. Ich fing sofort an, den nun überholten Teil meines Bücherregals auszuräumen. Werke wie: »Das Überlebensbuch für Eltern«, »Zuhören macht Spaß«, »Ich möchte gern ein Haustier« oder »Wie kläre ich mein Kind auf?«. Vier Regalfächer kann ich nun von derlei Werken freischaufeln.

Über ein Buch ärgere ich mich noch heute: »Babys machen Mütter stark«. Für dieses Machwerk und noch paar Piepen drauf, hätte ich mir lieber einen Sandsack für gewisse Fälle zulegen sollen, zum spontanen Abreagieren und aufbauenden Muskeltraining. Ein Buch jedoch, was ich später erst im Buchgeschäft entdeckte, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war, pardon, zur Welt kam, hätte ich gern als Lesefibel gehabt: »Will ich wirklich ein Kind?« Und dieses Wunderwerk war sogar zum Schnäppchenpreis zu haben.

»Mir wird immer mulmig im Magen, wenn ich die Auflistungen der Bank lese, was ein Kind so kostet und, dass ich mir damit hätte ein Eigenheim bauen können.«
Ich meine, über Geld will ich nun mal gar nicht reden - mir wird immer mulmig im Magen, wenn ich die Auflistungen der Bank lese, was ein Kind so kostet und, dass ich mir damit hätte ein Eigenheim bauen können, indem ich viele Nächte schön ruhig hätte durchschlafen können.

Also, ausgeräumt war schnell. Vier bücherlose Regalfächer als Mahnmal. Nie wieder Kids & Co! Um ehrlich zu sein, war ich von Anfang an gegen diese Kindertümelei, schon in der Schwangerschaft wollte mir jede Mutter ungefragt ihre wundervollen Erlebnisse aufdrücken. Keine warnte mich oder hielt mich für schlichtweg blöd. Rote Wutflecken bekam ich später, wenn Menschen in den Babywagen schauten, mit diesem Süßsatz: »Ja, wo is' sie denn, he?« So blind kann man eigentlich nicht sein.

Ja und viel mehr lässt sich über die 17 Jahre nicht erzählen, außer dass der Kampf gegen das Kind seinen Lauf nahm. So mit dem normalen Wahnsinn Tag für Tag. Nur dass ich nicht mehr wie bisher in jedem gewöhnlichen Supermarkt einkaufen konnte, sondern mich verpflichtet fühlte, nur noch Bioläden zu betreten. Dass überhaupt jede Zuwiderhandlung gegen die wirklichen oder erdachten Bedürfnisse des Töchterleins bei mir sofort ein schlechtes Gewissen auslöste. Eigene Interesse wahrzunehmen, und diese womöglich auch durchzusetzen, dazu habe ich wohl zu wenig männliche Anteile in mir. Ich mutierte zum Muttertier, das Topfschlagen spielte, Sinuskurven erklärte, rund um die Uhr Spaghetti kochte und mit dem Kind triefende Herz-Schmerz-Serien ansah.

Später dann signalisierten Gitarrenbässe aus dem einen Zimmer: Ich bin da, aber Zutritt verboten! Im Bad wurde zunehmend deutlich, dass eine zweite Frau im Haushalt wohnt, im Kosmetikschrank blieb nur noch ein Eckchen für meine Sachen frei. Es kamen auch zunehmend Briefe, die nicht an mich gerichtet waren. Nicht nur Liebesbriefe. Nein, der Staat begann sich für meine Tochter zu interessieren, die Bank schickte Prospekte, die Sparkasse schrieb: »Hallo«, und das Young Miss Beauty Center warb mit Einstiegsrabatten.

Morgens saßen supercoole Jungs in der Küche und aßen meinen Kühlschrank leer. Abends dann die Lockrufe der Clique per Telefon, und das Handy hörte vor lauter SMS nicht auf zu vibrieren. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit dann fiel die Tür ins Schloss. Hotel Mama, sprich die Versorgungsanstalt samt Wäscherei, Küchennutzung, Internetanschluss, Erste-Hilfe-Koffer und Sozialstation - natürlich im kostenlosen 24-Stunden-Service - wurde vorübergehend verlassen.

Wenn ich meinen Unmut zur Lautäußerung umzuwandeln versuchte, wurde jegliche kritische Äußerung untergraben - mit dem Argument, dass man als Kind nicht gefragt wurde, ob man geboren werden will. Ja gut, aber mich hat auch niemand ausreichend über Risiken und Nebenwirkungen eines heranwachsenden Dinosauriers aufgeklärt. Es war mir doch nur theoretisch klar, dass ein Sprößling einer Mutter keine Auszeiten genehmigt, elterliche Beziehung nicht abwählbar ist und man ein Leben lang Mutter bleibt.

Wenn meiner Mutter damals alles zu viel wurde, weil ich auch ganz schön nerven konnte und als Einzelkind immer das Gefühl hatte, ich müsste eine Horde ungeborener Geschwister ersetzen, fragte sich die Gute laut, wo immer sie gerade stand: Womit habe ich das verdient? Natürlich verbietet sich eine solche Frage, zumal ich ohnehin keine Antwort darauf weiß.

Aber ich muss gestehen, am vorletzten Abend, bevor meine Tochter das Weite suchte, erklärte sie mir, dass sie bald Kinder bekommen möchte, recht früh, so wie ich eben.

Meine bis dahin versteinerten Gesichtszüge weichten auf, ich wurde windelweich, schaute sie mit verklärtem Blick an. Ja Kinder, Enkelkinder sogar! Mein Herz hüpfte vor Freude - bis mir der Gedanke kam, dass auch sie eines Tages so wie ich heute zwar vor einem ausgedienten Bücherregal stehen wird - keineswegs jedoch vor einem ungelebten Leben.

Darauf kommt es doch an, wusste ich plötzlich wieder, und ich gab ihr einen Kuss. Ach was, ich fiel ihr um den Hals.

Artikel vom 16.09.2006