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Von dem Versuch, Familie, Beruf und »den Rest« ohne fremde Hilfe zu vereinbaren

Ein Bericht aus dem Leben einer Spagatmutter
Von Alexandra Linder


Die Kirchen sind recht voll, die Familien meistens intakt, Kinder normal. Wir mit unseren drei Rackern fallen nicht auf. Denn wir leben im Sauerland.

Früher in Köln oder München - in manchen Gremien jedenfalls - kam ich mir dagegen oft vor wie ein Marsmensch, wenn ich das Wort »Kind« fallen ließ. Wie sich die Zeiten ändern. Bald legten dieselben Leute mir nach einer Schrecksekunde dar, warum Kinder für sie nicht in Frage kamen. Und die neueste Entwicklung: Dieselben Leute überlegen, ob sie nicht doch nochÉ.

Die Debatten um Familie gehen hoch. Mütter, sollte man denken, müssten sich da doch eigentlich für das gemeinsame Ziel »Politik für die Familie« zusammenraufen. Statt dessen stellt man immer wieder erstaunt fest, wie sie sich gegenseitig angiften ob der vorgeblich völlig fehlerhaften Ausübung des Berufes Mutter. Jede hat das Patentrezept für sich gepachtet. Kürzlich ertappte ich mich sogar selbst in einer Woge mütterlicher Genugtuung: das unter widrigsten Umständen notdürftig geflickte Fahrrad unserer Ältesten wurde als verkehrssicher eingestuft, während der Drahtesel einer Tochter jener pädagogisch wertvollen Übermutter durchfiel. Muttertypen sind ja auch vielfältig. Um die wesentlichsten Grundtypen zu nennen: Vollzeitmutter, Gluckenmutter, Perfektionsmutter, Freizeitmutter, Rabenmutter - und, nicht zu vergessen, die Spagatmutter. Für diesen Typus haben wir uns entschieden.

Als Manfred und ich nach der Eheschließung begannen, über Kinder nachzudenken, waren wir noch mitten im Studium. In der Universität kamen Kinder nicht vor, es sei denn als Enkel der älteren Professoren. Wir bildeten uns ein, auf gut katholische Art für Kinder offen zu sein. Das führte dazu, dass Antonia im Alter von zwei Wochen zum ersten Mal die Universität besuchte und aufmischte. Sie kommt jetzt ins Gymnasium. Ich kann nur hoffen, dass ihr die akademische Früherfahrung dort zustatten kommt.

Ich studierte Romanistik und Ägyptologie. Antonia war ein Schreikind. Essen wollte sie ständig. Als sie drei Monate alt war, meldete ich mich zum Examen an. Das hieß vorerst einmal in der Woche nach Köln fahren, Literatur sammeln, Gespräche führen etc. Besonders gut kennen wir seitdem die Raststätte an der A 4 zwischen Gummersbach und Köln. Denn bei jeder Fahrt war hier erst einmal Schluss. Das Kind hatte Hunger. Nach Restfahrt, Parkplatzsuche, Ankunft in der Uni mit Marschgepäck, wieder Hunger - und eine volle Windel.

Kopieren in der Bibliothek: Plötzlich brüllt das Kind, durchdringend wie immer. Ein Student fällt schlaftrunken vom Stuhl. Mein Professor eilt aus der hintersten Ecke herbei. Was ist passiert? - Nichts. Das Kind schreit halt.

Ein Professor der Romanistik alter Schule. Solche waren landläufig als Chauvis verschrieen. Uns unterstützte er von allen am meisten. Er schickte mir ein unersetzliches Buch per Post, damit ich deswegen nicht eigens noch einmal fahren musste. Zum ungestörten Stillen stellte er sein Sprechzimmer zur Verfügung. Er bot mir sogar an, bei seiner Familie zu übernachten, sollte Not am Mann sein. Fachlich hat er mir nicht das geringste erspart. Auch dafür bin ich dem Professor heute noch zutiefst dankbar. Zumal wenn zu Hause gemeinsam mein inzwischen leicht angesabbertes Magisterzeugnis betrachtet wird.

Auch für Antonia war es bei den älteren Professoren offenkundig angenehm. Sonst ausgesprochen männerfeindlich, ließ sie klaglos zu, dass unser Ägyptologie-Professor sie mir einfach aus der Hand nahm, mit französischem Akzent begrüßte und mit Zigarrenqualm anpaffte. Das Kind war hingerissen und vergaß ganz zu brüllen. Auch im fünften Stock, wo man die Altphilologen, also auch meinen Mann zu verbergen pflegte, schloss man extra noch einmal die Bibliothek auf. Wegen Antonias Hunger und Windel hatten wir die Öffnungszeiten verpaßt. Anders erlebten wir es nur im Fachbereich der wissenschaftlichen Pädagogen: Die warfen uns gleich wieder hinaus.

Zum Glück übrigens habe ich nicht auf den Rat meiner Schwiegereltern gehört: »Warte doch mit dem Examen, bis Antonia im Kindergarten ist.« Denn zwei Wochen nach der letzten Prüfung kam unser Benedikt, die Nr. 2.

Zuviel Kinder? Zu wenig Kinder? Ausschließlich Mutter? Familie und Beruf? Nur Beruf und Kinder als Hobby? Die Entscheidung darüber, welchen Muttertypen man wählt, kann man niemandem abnehmen. Wichtig dabei sind zwei Dinge: primär darf das Kind nicht darunter leiden, sekundär dürfen die Eltern nicht darunter leiden. Ausschließlich Familie finde ich absolut in Ordnung, weil diese Tätigkeit ganztagsarbeitsfähig ist, wenn man sie ernstnimmt. Ich habe mich beim Typ »Spagatmutter« eingereiht, der versucht, Familie, Beruf und Rest tatsächlich weitgehend ohne fremde Hilfe zu vereinbaren. Zum Glück muss ich nicht unbedingt gegen Entgelt arbeiten wie viele andere Mütter. Ich will mein erlerntes Wissen in einem gewissen Rahmen anwenden und auch ehrenamtlich ein wenig tun. Auf diese Weise kann ich natürlich nie »Karriere

Artikel vom 16.09.2006