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Familienpolitik spielt sich zwischen Ehe, Kindern, Demographie und Arbeitsmarkt ab

Die wahren Heldinnen des »Spielplans« sind die Mütter
Von Hans Thomas


»So wenig Geburten wie nie«, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 16. August: »Auch die Zahl der Eheschließungen in Deutschland sank 2005 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes weiter.« Ehe, Familie, Demographie, Arbeitsmarkt: In diesem Viereck spielt in Deutschland die familienpolitische Musik. Heldinnen des Spielplans sind die Mütter, Opfer viele Frauen, die erst gar nicht Mütter werden.

»In dieser Ausgabe kommen Mütter zu Wort, Mütter mit gesundem Menschenverstand und dem Herz auf dem rechten Fleck.«
   Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Fällt das Stichwort öffentlich, ist unweigerlich die Rede von Frauen in Führungspositionen. Sie brauchen keinen Anwalt. Sie glänzen von selbst. Sie haben ihre Priorität gesetzt und bringen dafür Opfer. Sie sind wichtig, denn sie sollen in die Chefetagen und in die Politik frauliche Einfühlung, Friedlichkeit und Menschlichkeit bringen. Ob sie das tun, hängt allerdings vom Ton ab, den sie miteinander pflegen. Aber kaum äußert Eva Herman in der Zeitschrift Cicero ihre frische Botschaft von der »Neuen Weiblichkeit«, giftet Alice Schwarzer im Spiegel, das sei eine »Suada zwischen Steinzeitkeule und Mutterkreuz«. »Suada« bedeutet so etwas wie Redeschwall. Dieser Ton einer inzwischen verknautschten Emanzipation hat seinerzeit die Nation zum Gebärstreik angeregt.

Könnten Eltern sich für Kinder und Erziehung frei und ohne Not entscheiden - und Mütter bei mehr als drei auch davon leben, wären selbst 30 Prozent kinderlose Frauen demographisch kein Problem.

Dem Konjunkturthema »Frauenförderung« wollten sich vor Jahren auch die Herren vom Vorstand eines Wirtschaftsverbands stellen. Der Bildungsbeauftragte sollte eine Tagung ausrichten. Der fragte mich: »Wen soll ich denn als Vortragende einladen? So oder so komme ich in Teufels Küche. Führt die Quotenriege das Wort, rümpfen meine Bosse die Nase. Lade ich das Emanzengeschwader nicht ein, werde ich in den Medien zerrissen.« Mir fiel nur ein, er solle, wenn schon, als Vortragende auch einige intelligente Russinnen einladen, am besten jüngere, hübsche.

Solch gebildeten, aufgeschlossenen russischen Frauen war ich nach 1989 mehrfach begegnet. Eine von ihnen hatte zu Sowjetzeiten eine - bald vom KGB bespitzelte - Frauenvereinigung gegründet und wurde deshalb von deutschen Feministinnengruppen eingeladen. Hier stellte sie fest, dass die Programmziele ihrer »Frauenbefreiung« in Russland denen des hiesigen Feminismus geradezu entgegengesetzt waren. Frauen an den Arbeitsplatz? Das hatten wir seit 1917! Es hat die Frauen versklavt. Volle Leistung im Beruf plus Kinderkriegen plus Haushalt plus stundenlanges Anstehen beim Einkaufen. Nichts haben die Männer gemacht. Viele verführte es zum Trinken. Befreiung der Frau? Ja natürlich: Aus dieser Versklavung!

Staatliche Hilfen, die das sowjetische System anbot, sicherten dessen »Lufthoheit über die Kinderbetten«. Laut Parteiprogramm der KPdSU von 1919 »wird die Schaffung eines Netzes von Vorschuleinrichtungen (...) notwendig, mit dem Ziel, die gesellschaftliche Vorschulerziehung zu verbessern und die Gleichberechtigung der Frau zu sichern.« 1924 erläutert Nadeshda Konstantinova Krupskaja, Lenins Frau, eine einflussreiche marxistische Pädagogin: »Die Erziehungsarbeit muss den großen gesellschaftlichen Aufgaben entsprechen und mit der Perspektive der Umgestaltung des Dorfes verbunden sein. Deshalb ist die Kollektiverziehung der Bauernkinder besonders bedeutungsvoll. (...) Der Kindergarten ist Kulturträger, Bestandteil der Kulturrevolution....«

Staatskitas? Die Familienpolitik sollte sich heute Innovativeres einfallen lassen. Hören wir erst mal Müttern zu. In dieser Ausgabe von »Werte und Wandel« kommen ausschließlich Mütter zu Wort, Mütter mit gesundem Menschenverstand und dem Herz auf dem rechten Fleck. Auch sie haben für ihr Leben ihre Priorität gesetzt und erzählen vom Abenteuer ihres Alltags.

Artikel vom 16.09.2006