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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Heute kommt der Papst nach Deutschland. Heute kommt ein deutscher Papst nach Deutschland. Das Klima ist wohlwollend bis euphorisch, die Stimmung ist heiter. Man gesteht ihm Heimatgefühle zu, denn er möchte nicht zuletzt auch Bayern besuchen.
In all diesen Aussagen liegt im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten Sprengstoff und Entwicklungsenergie:
Viele Jahrhunderte lang haben Päpste ihren Aufenthaltsort in Rom nie verlassen. Es gab Zeiten, da waren Reisen für einen Papst zu gefährlich. Später wurden sie einfach unüblich. Papst Paul VI, also vor rund 30 Jahren, unternahm die ersten zwei oder drei symbolischen Reisen; so nach IsraelÉ Erst der letzte Papst suchte als universaler Seelsorger selbst die entlegensten Winkel der Welt auf. Auch in Deutschland kam er mehrmals vorbei. Dennoch sollte es niemandem zu selbstverständlich sein, dass der neue Papst jetzt schon innerhalb von eineinhalb Jahren zum zweiten Mal unser Land aufsucht. Die Weltkirche wird in unserem Land spürbarer! Und der höchste Verantwortungsträger der Kirche macht vor, was er in der Nachfolge Jesu für wichtig hält. Er ist bereit, große Energien aufzubringen, um Menschen an ihrem Lebensort aufzusuchen. Die Kirche geht zu den Menschen. Daran hindert sie auch das beachtliche Alter nicht.
Heute kommt aber darüber hinaus ein deutscher Papst nach Deutschland. Einen deutschen Papst gab es vorher fünfhundert Jahre lang nicht. Davor kannte die Kirche sehr wohl Päpste aus den verschiedensten Ländern. Denn vor achthundert oder tausend Jahren waren unsere Länder geistlich eine viel selbstverständlichere und „grenzenlosere“ Einheit, als wir uns dies bei aller Globalisierung heute überhaupt vorstellen können. Dann aber kamen Nationalstaaten auf, Grenzen wurden immer wichtiger. Sie wurden so wichtig, dass selbst die universale Geist der einen großen Glaubensfamilie dagegen nur noch schlecht ankam. Kaum einer wunderte sich, wenn aus „praktischen Gründen“ Päpste nur noch Italiener waren. Wenn nun heute ein deutscher Papst in unser Land kommt, so ist dies nur deshalb möglich, weil denen, die ihn wählten, Nationales völlig unwichtig ist. Wie viele hätten sie sonst davor gewarnt, angesichts der Verletzungen aus den Zeiten nationaler Übersteigerung im letzten Krieg ausgerechnet einen Deutschen zu wählen.
Wenn zudem heute das öffentliche Klima angesichts des Papstbesuches wohlwollend bis euphorisch und die Stimmung fast heiter zu nennen ist, dann zeugt auch dies von einer Wandlung, die sich noch vor wenigen Jahren kaum jemand hätte vorstellen können. Insbesondere junge Menschen trauen sich, Gläubigkeit, Freude und Ausgelassenheit zusammenzubringen. Sie zeigen höchsten Verantwortlichen des nur scheinbar so „ernsten“ Themas Glauben sogar Zuneigung. Und dass ein solcher Mensch wie der Papst im Dienste der Kirche auch so etwas wie eine Heimat hat, der er sich verbunden fühlt: dies wird ihm mit einer gewissen Warmherzigkeit zugestanden. Natürlich ist er einer von denen, die wie damals Petrus und die übrigen Apostel „alles verlassen haben und dir (Jesus) nachgefolgt sind“ (Mk 10,28). Aber wenn man menschlich mit ihm denkt, dann versteht man Heimatempfinden sehr wohl.
Was der jetzige deutsche Papst der Kirche und der Welt in den vergangenen eineinhalb Jahren geschenkt hat? Überraschend viel Einfühlsames und gleichzeitig Klares über Liebe brachte er in seinen Schriften zum Ausdruck. Fast nur darüber schrieb er. Dann tritt er in einer feinen, zurückhaltenden und unaufdringlichen Herzlichkeit auf. Vor allem aber ist sein differenziertes theologisches Denken geschätzt, das die vielen Hintergründe des Glaubens abwägt und keine angreifbaren oder vorschnellen Aussagen kennt. Manch einer musste vorherige Urteile zurücknehmen. Jeder Zuhörer spürt, wie durchdacht seine Anliegen sind. Dieser ungeheure Bildungshintergrund, der gerade auch die ökumenischen Dimensionen der Theologie einschließt, ist in der Welt geschätzt. Nicht zuletzt wegen dieser Stärke hatten sie ihn wohl auch gewählt. Auch außerhalb der katholischen Kirche berührt er das Gewissen der Menschen: er spricht von Überzeugungen die alle einen könnten.
Ein deutscher Papst in Deutschland in einer frohen Atmosphäre des Glaubens: unser Land und wir alle haben erneut eine Chance, der lebendigen Nachfolge Christi ein weiteres schönes Kapitel hinzuzufügen.

Artikel vom 09.09.2006