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Doll hält Brandrede
nach der HSV-Blamage

Arrogante Pokal-Vorstellung verärgert den Trainer

Stuttgart (dpa). Den Anfang verschlafen, dann kurz vor dem Ende aus allen Träumen gerissen: Der Hamburger SV ist nach der Pleite im DFB-Pokal beim Regionaligisten Stuttgarter Kickers ausgerechnet vor dem Champions-League-Auftakt am Mittwoch gegen den FC Arsenal in eine Krise geschlittert.

HSV-Trainer Thomas Doll war über das 3:4 (3:3, 3:2) nach Verlängerung beim drittklassigen Außenseiter erbost und versuchte mit einer Brandrede seine Spieler wach zu rütteln: »Was in der zweiten Halbzeit gelaufen ist, hatte nichts mehr mit Fußball zu tun. Wir waren völlig arrogant, haben Verantwortung abgeschoben und unsere Chancen leichtfertig vergeben. Das haben wir uns selber zuzuschreiben«, sagte Doll und kündigte seinen »selbstzufriedenen« Spielern Konsequenzen an: »Der ein oder andere wird das jetzt zu spüren bekommen.«
Zwar fehlten in Rafael van der Vaart, Vincent Kompany, Timothee Atouba, David Jarolim und Juan Pablo Sorin gleich fünf Stammkräfte, doch Doll ließ auch ein glückliches Händchen vermissen. Er nahm seine stärksten Offensivkräfte Piotr Trochowski und Danijel Ljuboja vom Feld und damit dem HSV-Spiel die Impulsgeber. Die Frage nach dem Grund dieser unglücklichen Maßnahme blieb indes unbeantwortet: Der Hamburger Tross musste dringend zu seinem Flieger; eine Verlängerung oder gar ein Elfmeterschießen war gar nicht einkalkuliert.
Es entbehrte nicht der Pikanterie, dass die ersten beiden HSV-Treffer vom Wunschsturm des Kickers-Lokalrivalen VfB erzielt wurden. Zunächst hatten Recep Yildiz und Christian Okpala die Gastgeber nach nur sechs Minuten mit 2:0 in Führung geschossen. Boubacar Sanogo (28.), der vor seinem Wechsel vom VfB umworben war, und Ljuboja (36.) - er wurde nach Vertragsstreitigkeiten zu den VfB-Amateuren verbannt - brachten den HSV zurück.
Als Guy Demel mit einem volley erzielten Sonntagsschuss noch vor der Pause das Hamburger 3:2 erzielte, schien das Spiel gelaufen. Doch die Hanseaten nutzten ihre zahlreichen Chancen nicht und wurden von Yildiz eine Minute vor dem Schlusspfiff bestraft. »Der HSV ist sein Überlegenheitsgefühl nicht losgeworden«, bemerkte der ehemalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder süffisant.
Den auch in der Verlängerung packenden Pokalfight krönte erneut Okpala für die Kickers mit einem verwandelten Strafstoß (96.). Der HSV hat nur eins seiner acht Saison-Pflichtspiele gewonnen, doch gegen Arsenal sieht Verteidiger Bastian Reinhardt den HSV sogar im psychologischen Vorteil: »Da haben wir wie die Kickers nichts zu verlieren.«
Baden-Württemberg jedenfalls ist im DFB-Pokal ein schlechtes Pflaster: Vor 32 Jahren verlor der HSV 1:2 beim VfB Eppingen, zehn Jahre später folgte ein 0:2 beim SC Geislingen. Kickers-Trainer Robin Dutt, an dem sogar Hannover 96 Interesse gezeigt hatte, freute sich »wahnsinnig« über den Pokalcoup, Torschütze Yildiz darf sich gar über einen fahrbaren Untersatz freuen: »Mein Vater sagte zu mir, wenn ich zwei Tore schieße, bekomme ich ein Auto.«

Artikel vom 11.09.2006