08.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Goldener Löwe fürs Gesamtwerk: David Lynch.

Der »Löwe« ist
noch ganz still

Morgen Preisverleihung in Venedig

Von Peer Meinert
Venedig (dpa). Viele Stars, viele Filme, viel Mittelmaß. Morgen ist Preisverleihung beim Filmfestival, doch einen heißen Favoriten auf den Goldenen Löwen gibt es immer noch nicht.

Nach wie vor sehen die Auguren Stephen Frears vorn, mit »The Queen« über die Gefühlskälte der britischen Royals nach dem Tod von Prinzessin Diana. Das wäre immerhin ein Streifen fürs Publikum: witzig und ironisch, voller Überraschungen. Am Ende erscheinen die sturen Royals sympathischer als der agile Premier Tony Blair, der sich als Strohhalm im Wind der Volksmeinung biegt. Als Superstar hat sich Helen Mirren in ihrer königlichen Rolle entpuppt.
Als Konkurrent um den Goldenen Löwen gilt ausgerechnet Alain Resnais: Der französische Altmeister hat mit »Private Fears in Public Places« so etwas wie ein Kammerspiel vorgelegt, tatsächlich basiert der Streifen mit langen Dialogen liebeskranker Frauen und Männer auf einem Theaterstück. Merkwürdig fast, dass »Zwartboek« (Schwarzbuch) des Niederländers Paul Verhoevens nicht stärker ins Gespräch kam: Der von Deutschland koproduzierte Film über einen »guten Nazi« (Sebastian Koch) und Verrat in der niederländischen Widerstandsbewegung hätte eigentlich eine Diskussion entfachen können.
Lang ist die Liste der Hollywood-Enttäuschungen, etwa »The Black Dahlia« (Schwarze Dahlie) von Brian de Palma mit Scarlett Johansson, ein allzu brav gemachter Thriller. Ebenso »Hollywoodland« von Allen Coulter, auch eine Mordgeschichte. Ohne große Gefühle auszulösen, ging auch »Bobby« von Emilio Estevez über die Leinwand.
Und die Außenseiter? Da ist Tsai Ming-Liang mit »I don't want to sleep alone« über das Schicksal illegaler Migranten in der malaysischen Hochhaus-Metropole Kuala-Lumpur. Oder »Still Life« des Chinesen Jia Zhang-Ke vor dem Hintergrund des Bau eines Riesenstaudamms in China. Ebenso »Darrat« von Mahamat-Saleh Haroum aus dem Tschad: Ein junger Mann soll in den Wirren des Bürgerkrieges den Tod seines Vaters rächen. Und natürlich der Italiener Gianni Amelio mit »La stella che non c'è« über die verwirrende Chinareise eines italienischen Stahlarbeiters. Doch große Gefühle, große Begeisterung wurden in Venedig diesmal nicht entfacht, nicht einmal echtes Staunen ausgelöst.

Artikel vom 08.09.2006