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Grass wird sich
weiter melden

Ansturm auf Lesung in Berlin

Von Wilfried Mommert
Berlin (dpa). »Karte gesucht!« Das Berliner Ensemble sah sich am Montagabend einem Besucheransturm wie bei einer mit großer Spannung erwarteten Theaterpremiere ausgesetzt, als Günter Grass von seinem ganz persönlichen »Häuten der Zwiebel« und anderen schmerzhaften Dingen erzählte.

Der Literatur-Nobelpreisträger hat schwere Wetter hinter sich seit seinem öffentlichen Bekenntnis, am Ende des Krieges als Jugendlicher der Waffen-SS angehört zu haben. Er erzählt das eher beiläufig in seinem kürzlich erschienenen autobiografischen Buch »Beim Häuten der Zwiebel« (Steidl Verlag), doch mit einem Zeitungsinterview löste er im August noch vor Erscheinen des Buches eine gewaltige Debatte aus.
Das »Kritiker-Stahlgewitter« der zurückliegenden Wochen habe für ihn »existenziell bedrohliche Ausmaße angenommen«, hatte Grass kürzlich gesagt. Am Montagabend ging der »Blechtrommler«, der inzwischen nach eigenen Worten auch ermutigende Zuschriften erhalten hat, zum Gegenangriff über.
»Ich war betroffen. Ich habe aber nicht gedacht, dass Literaturkritiker so unter ihrem eigenen Niveau argumentieren würden«, sagte ein selbstbewusst auftretender Grass unter dem Beifall des Publikums, dem er zwischendurch -- wie gewohnt am Stehpult - auch einige Kapitel aus seinem neuen Buch vortrug. Grass wird also den Teufel tun und sich in die Schmollecke zurückziehen oder gar den Mund halten, das wurde an diesem Abend klar. Es sei zwar für ihn in letzter Zeit nicht einfach gewesen, »aber ich stehe weiterhin auf zwei Beinen und werde mich auch weiterhin zu Wort melden«. Hat ihn die Kontroverse verändert? »Das kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Ich brauche Distanz.«
Bei einem Glas Rotwein gab es dann auf dem »Blauen Sofa« auch Versuche des »Aspekte«-Moderators (ZDF) Wolfgang Herles, dem »Großschriftsteller« mit kritischen Fragen auf den Leib zu rücken (»Ich hatte schon leichtere Aufgaben«, meinte Herles). Aber das »Rätsel des langen Schweigens« über die SS-Vergangenheit des Nobelpreisträgers wurde auch an diesem Abend nicht gelöst. Grass antwortete hier eher ausweichend. Erst in seinem Buch habe er alles in einem Zusammenhang darstellen können. »Ich bin auf die Leser angewiesen, die differenzieren können.« Und wieder setzt es eine Spitze gegen die Kritikerzunft: »Das Buch lag wochenlang in den Redaktionsstuben, bis (»FAZ«-Herausgeber Frank) Schirrmacher das Reizwort erwähnte.«

Artikel vom 06.09.2006