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Steinbrück kassiert und bremst

Staatsdefizit sinkt auf 2,8 Prozent - Finanzminister warnt vor Euphorie

Berlin (dpa). Deutschland wird dank des Konjunkturaufschwungs und der sprudelnden Streuereinnahmen in diesem Jahr erstmals seit 2001 wieder die Defizitkriterien des Euro-Stabilitätspaktes erfüllen.
Die Obergrenze von 3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) werde »aller Voraussicht nach« eingehalten, kündigte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) gestern im Bundestag zum Auftakt der Haushaltswoche an. »Realistisch ist 2,8 Prozent, wir werden sie nach Brüssel melden.«
Steinbrück hob zu Beginn der viertägigen Haushaltsdebatte zugleich die Wachstumsprognose für das laufende Jahr an. Beim Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) werde »wahrscheinlich eine 2 vor dem Komma stehen«. Steinbrück sprach von einem »klassischen Konjunkturaufschwung«, der an Breite gewinne. Bisher war die Regierung von einem Plus von 1,6 Prozent ausgegangen.
Steinbrück warnte jedoch vor »Euphorie, Entwarnung und Begehrlichkeiten« und meinte: »Wir wissen aber nicht: Wie nachhaltig ist dieses Wachstum?« Auch bei den Steuereinnahmen sei »Nüchternheit« angesagt.
Der Etatentwurf 2007 hält erstmals seit Jahren die Vorgaben des Euro-Stabilitätspaktes sowie die Schuldenregeln des Grundgesetzes bereits in der Planung ein. Bei Gesamtausgaben von 267,6 Milliarden Euro soll die Neuverschuldung um 16,2 Milliarden auf 22 Milliarden Euro sinken. Dies gelingt vor allem dank der größten Steuererhöhung in der bundesdeutschen Geschichte.
Die Mehrwertsteuer steigt Anfang 2007 von 16 auf 19 Prozent. Die Investitionen des Bundes sollen mit 23,5 Milliarden Euro über der Neuverschuldung liegen, womit die Schuldenregel des Grundgesetzes knapp eingehalten wird.
Zur Kritik auch aus den Koalitionsreihen sagte Steinbrück: »Selbstverständlich gibt es Risiken.« Aber deren Beschreibung sage noch nichts darüber, ob sie auch eintreffen. Es gebe Unsicherheiten bei den Zinsen, bei den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose sowie durch Währungsungleichheiten. Auch auf dem Arbeitsmarkt gebe es Unwägbarkeiten, räumte Steinbrück ein. Die Strategie von Konsolidierung und wirtschaftlichen Impulsen funktioniere. »Der Konjunkturhimmel sollte sich aufhellen und hat sich aufgehellt.«
Am Sparkurs werde angesichts eines Schuldenbergs von 1500 Milliarden Euro festgehalten. »Diese Bundesregierung knickt nicht ein.« Von den in diesem Jahr erhofften Steuermehreinnahmen für die Staatskassen seien 14 bis 15 Milliarden Euro bereits verplant. Für den Bund gehe er von zusätzlich 3 bis 3,5 Milliarden Euro aus. Der »große Löwenanteil« davon werde aber zum Abbau der Neuverschuldung genutzt und nicht an anderer Stelle ausgegeben.
Steinbrück bekräftigte seinen Plan, bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) einen Finanzpuffer aus den erwarteten Überschüssen von 9 Milliarden zu bilden. Er wies damit Forderungen nach einer stärkeren Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung erneut zurück.
Steinbrücks Pläne sind auch in der Koalition umstritten. Aus Sicht der Union sind die Kosten für das Arbeitslosengeld II zu niedrig veranschlagt. Hinzu kämen Risiken durch die Gesundheitsreform, den geplanten Libanon-Einsatz, bei den Zinsen und der Konjunktur. Die Union fordert zudem stärkere Einsparungen bei den Personalausgaben.
Deutschland verstößt seit 2001 gegen die Defizitvorgaben. Steinbrück hat nun erstmals ein klare Zusage gemacht, dass die Maastricht-Kriterien schon 2006 eingehalten werden statt wie bisher geplant erst 2007. Diese Entwicklung hatte sich aber schon länger abgezeichnet. Mehrere Ökonomen erwarten seit längerem eine Defizitquote von unter 3,0 Prozent. Im 1. Halbjahr lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen bei 2,5 Prozent des BIP.

Artikel vom 06.09.2006