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»Harmonie in der großen Koalition ist Fassade. Dahinter wird die Union ihrer Inhalte und Wähler beraubt.«

Leitartikel
Becks Leistungsträger

Im Käfig
der großen
Koalition


Von Jürgen Liminski
Die Arbeitsteilung ist perfekt. Vizekanzler Franz Müntefering spielt auf Konsens und Eintracht in der Regierung, SPD-Chef Beck kümmert sich um die Attacke.
Auf diese Weise bleibt es in der Regierung relativ ruhig, die Kanzlerin und ihre Parteiknechte wie Ronald Pofalla begehren nicht auf und die SPD kann in aller Ruhe der CDU in der Mitte Wähler abwerben. Jüngstes Beispiel ist Becks Theaterstück mit dem Titel »Lob den Leistungsträgern«. In seiner Definition, der er wohlweislich keine Maßnahmen-Versprechen folgen lässt, kommen sie alle vor, die Facharbeiter, die Mittelständler, die Lehrer, die Angestellten - sozusagen alle, die im Erwerbsleben stehen und denen Hartz IV droht, wenn sie ihre Arbeit verlieren. Es sind die Teile der Gesellschaft, die durch die Reformen der großen Koalition am stärksten belastet werden.
Es sind aber auch die gleichen, die die Wahlen entscheiden. Beck hat als erster Konsequenzen aus dem demoskopischen Absturz der großen Koalition gezogen. Indem er die Mitte umwirbt, will er die SPD aus der negativen Sogwirkung der großen Koalition befreien. Aber um wirklich glaubwürdig zu sein müssten Taten folgen. Zum Beispiel bei der Unternehmenssteuerreform. Hier müssten die Kleinunternehmer endlich vor den großen Konzernen zum Zuge kommen. Oder bei der Gesundheitsreform, bei der Verwendung überschüssiger Milliarden der Bundesanstalt für Arbeit oder auch bei der Mehrwertsteuer.
Becks Reden ist hohl. Aber es zeigt Wirkung. Schon hat er in den Umfragen die Kanzlerin überholt.
Sein bürgerliches Auftreten weckt Vertrauen, auch wenn er konkret nichts tut, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Eine Reform allerdings hat er im Sinne der ängstlichen Mitte verhindert.
Er will den Kündigungsschutz nicht antasten obwohl diese Reform im Koalitionsprogramm steht. Die CDU aber wird es schwer haben mit Pofallas Vorschlägen und Gedankenspielen, etwa zum Ehegattensplitting, dessen Abschaffung auch die Bundesfamilienministerin befürwortet. Die Sozialdemokratisierung der CDU schreitet rasch voran. Die Kanzlerin lässt in einer Art pragmatischem Relativismus gewähren, statt konkrete Forderungen an die SPD aufzustellen. Sie steckt im Käfig der großen Koalition. Sie ist Becks Leistungsträger Nummer eins. An zweiter Stelle kommen Pofalla und Co.
Die Arbeitsteilung der SPD gibt Beck und Müntefering das Schloss am Käfig in die Hand und außerdem die Möglichkeit sich zu profilieren. Die Union ist gefangen.
Jürgen Rüttgers und Edmund Stoiber haben das erkannt und versuchen die Union zu befreien. In ihren Ländern leben vierzig Prozent der Wähler, ohne sie läuft nichts. Beck und Müntefering werden das Spiel so lange treiben, wie es geht. Und dann die Koalition aufkündigen. Das kann schneller kommen als erwartet.
Die Harmonie in der Großen Koalition ist nur eine Fassade, hinter der die Union ihrer Inhalte und Wähler beraubt wird.

Artikel vom 06.09.2006