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Umzug von Bonn nach Berlin immer wieder gern gefordert

Befürchtungen am Rhein - Berechnungen an der Spree - Dauerthema

Von Edgar Bauer
Bonn (dpa). In regelmäßigen Abständen kocht das brisante Thema hoch: Der zweigeteilte Sitz der Bundesregierung und der Standort Bonn. Aus den Reihen der Haushaltspolitiker kommt nun Kritik an den angeblich zu hohen Kosten der gesetzlich verankerten Arbeitsteilung.
Spektakulär und unter den Augen einer großen Öffentlichkeit erfolgte 1999 der Teil-Umzug nach Berlin. Die Debatte über einen eventuellen »Total-Umzug« wird dagegen nur in Finanzkreisen geführt.
Die Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin: Am Rhein sind sechs Ministerien verblieben, die gleichwohl Außenstellen an der Spree haben.

Bisher sind solche Stimmen jedes Mal rasch wieder verhallt, weil sie sich in der Substanz als falsch herausstellten. Dies scheint auch dieses Mal nicht anders. Die Bundesregierung hat ihre unveränderte Position klar gemacht: Es gibt keine Notwendigkeit für einen Komplettumzug.
Im Bonn-Berlin-Gesetz von 1994 ist eine »faire Arbeitsteilung« verankert. Danach haben sechs Ministerien (Verteidigung, Umwelt, Agrar, Entwicklung, Gesundheit und Bildung) ihren ersten Sitz und die weiteren ihren zweiten Sitz auf Dauer in Bonn. Union und SPD haben diese Teilung ausdrücklich auch im Koalitionsvertrag bekräftigt.
Die neuen Forderungen, dass es aus finanziellen Gründen einen Komplettumzug geben müsse, gründen sich nicht auf neue Fakten oder Zahlen - die gibt es auch nicht.
Ein Gutachten des Bundesrechnungshofs zum Umzug ist vier Jahre alt, aktuelle Prüfungen gibt es nicht. Nach dem damaligen Ergebnis hielten die Prüfer einen Komplettumzug aus Kostengründen nicht für geboten. Darauf verwies auch der Bonner SPD- Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber: »Es hat sich nichts geändert: Nicht Umzuziehen ist billiger. Keiner hat das Geld für einen Totalumzug.« Von den Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss wird nun eine Übersicht über die aktuellen Kosten der Arbeitsteilung gefordert. Gegenstand sei »ein möglicher Effizienzgewinn etwa durch die Verlegung einzelner Referate«, erklärte die CDU-Bundestagsabgeordnete Ursula Heinen. Was darüber hinaus gesagt wurde, sind Einzelmeinungen.
Die Haushälter hätten auch gar nichts zu entscheiden. Da es hier eine eindeutige Gesetzeslage gibt, wäre ein neues Votum des Bundestags erforderlich. Dass es in näherer Zukunft zu einer solchen Entwicklung kommen könnte, gilt unter Parlamentariern als unwahrscheinlich. Die bisherigen Vorstöße waren nur eine Spielwiese von Hinterbänklern und wurden, wenn es zu toll wurde, von führenden Politikern rasch wieder versenkt.
16 Jahre nach der Wiedervereinigung und gut sieben Jahre nach dem Teilumzug ist die Hauptstadt zwar präsenter in den Medien. Doch in Bonn arbeiten im Stillen noch immer mehr Regierungsbeamte. 10 200 Beamte und Angestellte sitzen in den über die Stadt verstreuten Gebäuden. In Berlin gibt es nur 8800 Mitarbeiter. Trotz Schaltkonferenzen gibt es immer noch viele Pendel-Flüge.
Die Zweiteilung mit der Pendelei koste jährlich zehn Millionen Euro, stellte der Rechnungshof 2002 fest. Genauere Angaben über die Kosten eines Komplettumzugs machte die Behörde nicht, wie Sprecher Michael Reinert betonte. Der damalige - auch für den Umzug zuständige - Bauminister Kurt Bodewig (SPD) schätzte sie auf fünf Milliarden Euro. Diese Zahl steht seither im Raum. Kritiker dieser Rechnung führen an, dass dabei von einem fiktiven Umzug auf einen Schlag ausgegangen werde. Eine schrittweise Verlagerung sei aber realistischer und käme auch weit billiger.
Die Umzugsentscheidung des Bundestags vom Juni 1996 kam damals nur deshalb mit knapper Mehrheit zu Stande, weil Bonn Ausgleichsmaßnahmen in Aussicht gestellt wurden. Für die Zukunft der Stadt wurde das Schlimmste befürchtet. Doch alle Untergangsprognosen trafen nicht ein.
Im Gegenteil: Bonn bewältigte den Abgang der hohen Politik bestens, hat heute mehr Einwohner und Arbeitsplätze als beim Umzug 1999 und schmückt sich mit einem neuen »UN-Campus« im alten Regierungsviertel. Zum Ausgleich pumpte die Bundesrepublik Deutschland 1,4 Milliarden Euro nach Bonn. Außerdem wurden mehr als 20 Bundesbehörden mit 7000 Stellen an den Rhein verlagert.

Artikel vom 05.09.2006