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Bundeswehr vor Risiko-Einsatz

Aufgabe in Südafghanistan wird wahrscheinlicher -Ê Anschlag auf Briten

Kabul/Berlin (dpa/Reuters). Die Bundeswehr muss sich nach Ansicht des UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan, Tom Koenigs, auf militärische Einsätze in besonders gefährlichen Landesteilen einstellen.
»Deutschland muss unter Umständen in Kauf nehmen, auch in den Süden Afghanistans zu gehen«, sagte Koenig bei einer Veranstaltung in Berlin. Angesichts der eskalierenden Gewalt im Lande müssten die eingesetzten NATO-Truppen künftig stärker »als Ganzes« auftreten und zeigen, dass ihre Soldaten keine »Papiertiger« seien.
Bei einem Selbstmordanschlag gegen einen britischen Militärkonvoi in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind gestern ein britischer Soldat und vier unbeteiligte afghanische Zivilisten getötet worden. Am selben Tag wurde ein NATO-Soldat durch den irrtümlichen Beschuss aus einem NATO-Flugzeug getötet.
Bei dem Anschlag in Kabul fuhr der Attentäter nach Angaben der Polizei mit einem Allradfahrzeug in den britischen Konvoi und zündete dann die Bombe. Die NATO sicherte den Anschlagsort in Kabul mit Hilfe deutscher Soldaten ab. 20 Bundeswehr-Soldaten seien im Einsatz gewesen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.
Derartige Selbstmordanschläge hätten in letzter Zeit deutlich zugenommen, erklärten Militärexperten in London. Bis Mitte August seien dabei mehr als 120 Menschen getötet worden. Allerdings seien solche Anschlägen in der Hauptstadt Kabul bisher selten vorgekommen. Mit dem jüngsten Anschlag erhöhte sich die Zahl der seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes im November 2001 umgekommenen britischen Soldaten auf 37.
NATO-Oberkommandeur James Jones kündigte eine harte militärische Auseinandersetzung mit den Taliban an. »Die NATO wird auch weiterhin jede nötige Gewalt einsetzen, um die Aufständischen zu schlagen«, heißt es in einer Erklärung des Generals. In den ersten 30 Tagen seit Ausweitung des Einsatzes der von der NATO geführten Afghanistan-Schutztruppe ISAF seien die auf 19 000 Mann verdoppelten Truppen auf »erhebliche Herausforderungen« gestoßen, räumte er ein. In der Erklärung wurde nicht ausdrücklich Bezug auf die schwersten Gefechte seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 genommen, bei denen am Wochenende mehr als 200 Rebellen und vier ISAF-Soldaten starben. »Unsere Ausdehnung in den Süden hat, wie zu erwarten war, zu einem Anstieg der Angriffe von Aufständischen gegen die ISAF-Soldaten und gegen die afghanische Bevölkerung geführt«, erklärte Jones. Im Norden Afghanistans, wo die ISAF am längsten präsent ist und wo auch die Soldaten der Bundeswehr stationiert sind, seien die positiven Ergebnisse von Stabilisierung und Wiederaufbau bereits deutlich zu sehen. Ziel der ISAF sei es, diese Fortschritte auch im Süden zu erreichen.
Die Bundesregierung lehnt bislang eine dauerhafte Verlegung deutscher ISAF-Soldaten aus dem relativ ruhigen Norden in die Unruheregionen im Süden ab. Auch der SPD-Vorstand sprach sich strikt gegen eine Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes aus. Dazu seien die im Norden stationierten deutschen Soldaten weder gerüstet noch in der Lage, sagte SPD-Chef Kurt Beck.
Im Süden setzte die NATO ihre Offensive »Medusa« fort. Sie konzentriert sich auf die Provinz Kandahar, in der die NATO-Truppen im Prinzip nur noch über die gleichnamige Hauptstadt die Kontrolle ausüben. Die übrigen Gebiete in der Grenzprovinz zu Pakistan haben die Taliban praktisch zurückerobert.
Vor wenigen Tagen war die Bundeswehr möglicherweise das Ziel eines gescheiterten Anschlages. Am Freitag sei in der Nähe des Hauptquartiers der Bundeswehr in Masar-i-Scharif im Norden ein Fahrzeug explodiert, in dem Sprengstoff festgestellt worden sei, sagte ein Bundeswehr-Sprecher. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Artikel vom 05.09.2006