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»Noch nie eine
so ordentliche
Schule gehabt«

Senner testen »Lehrerraum-Prinzip«

Von Markus Poch (Text und Fotos)
Senne (WB). Eingerostete Regularien aufzubrechen, ist immer ein Wagnis, aber meistens einen Versuch wert. Die Realschule Senne hat es gewagt und zieht nach vier Wochen nun positive Bilanz. Die Änderung: Nicht mehr die Lehrer kommen zu den Schülern, sondern die Schüler zu den Lehrern.

»Es ist das ÝLehrerraum-PrinzipÜ, das wir ein Jahr lang testen«, erklärt Schulleiter Manfred Walter. »Es hat sich in den angelsächsischen Ländern und in Frankreich bereits bewährt, und ich kann nur sagen: Seit dem Start des neuen Schuljahres läuft es auch bei uns reibungslos. Wir haben noch niemals eine so ordentliche Schule gehabt.«
Das Prinzip sieht vor, dass im Gegensatz zum in Deutschland herkömmlichen System jeder in Vollzeit angestellte Lehrer, der Deutsch, Mathematik, Englisch, Geschichte, Erdkunde oder Politik unterrichtet, einen festen Klassenraum bekommt. Dessen Ausstattung und Ordnung verantwortet er selbst, ähnlich wie die Biologie-, Physik-, Chemie oder Kunstlehrer in ihren Fachräumen. »Dadurch haben die Kollegen alle benötigten Arbeitsmaterialien sofort zur Hand, müssen sie nicht durch die halbe Schule tragen«, betont Manfred Walter. »Außerdem sind die Klassenräume immer aufgeräumt und weisen deutlich weniger Sachbeschädigung auf, weil sie niemals unbeaufsichtigt sind. Wenn der Schüler kommt, ist der Lehrer schon da.« Wartezeiten entstünden lediglich vor der ersten Stunde und nach den großen Pausen. Das neue Prinzip sporne deshalb auch die Lehrer zur Pünktlichkeit an, »und dadurch gewinnen wir erheblich an Unterrichtszeit«, ergänzt der 53-Jährige. »Ein positiver Nebeneffekt sind weniger Rangeleien und Unfälle. Im neuen Schuljahr gab es noch keinen einzigen.«
Weitere Vorteile des neuen Prinzips erfuhr Mathe- und Sportlehrerin Sabine Bremke von engagierten Eltern: »Sie begrüßen sehr«, sagt die 31-Jährige, »dass ihre Kinder jetzt kaum noch Gelegenheit zum Abschreiben der Hausaufgaben haben, weil sie nach dem Unterricht sofort zum nächsten Lehrer aufbrechen müssen. Dadurch bekommen sie sogar noch ein bisschen Bewegung und Luftveränderung.« Darüber hinaus bedeute der Ortswechsel einen klaren Schnitt zwischen den Schulfächern. Dadurch wirkten ihre Schüler zu Unterrichtsbeginn konzentrierter als früher.
Es gibt aber auch kritische Stimmen, vor allem auf Seiten der Eltern und Schüler. Einige verurteilen die »ewige Schlepperei« der schweren Schultaschen von Raum zu Raum und auch das zeitweise dichte Gedränge in den Gängen. »Natürlich sind unsere Gänge manchmal voller Schüler, und natürlich ist auch die Schultasche mal schwerer«, entgegnet Manfred Walter. »Aber dieses ist eine Übergangslösung. Wir arbeiten darauf hin, dass die Schüler bald nur noch ihre Schreibutensilien mit zur Schule bringen. Schon jetzt gibt es Schließfächer im Gebäude und Ablagemöglichkeiten in den Klassenräumen, aber langfristig könnten alle Bücher nur noch zu Hause oder/und in den Klassenräumen liegen bleiben.«
In Planung sei die Ausstattung aller Räume mit Computern, und das ginge nur mit den Aufsichtsvorteilen des Lehrerraum-Prinzips. »Wenn unser Fazit auch nach einem Jahr so positiv ausfällt wie im Augenblick«, behauptet der Schulleiter, »dann werden wir dieses System auf jeden Fall auf Dauer einführen.«

Artikel vom 05.09.2006