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Leih-Hemd vom Ehemann

Waltraud Niermann ist als Hausdame die Perfektion in Person

Von Fritz Springer
Gütersloh (WB). Es sind bekannte Unternehmerfamilien, denen Waltraud Niermann über zwei Jahrzehnte hinweg verschwiegen den Haushalt führte. 1996 ergab sich dann die Möglichkeit, im Parkhotel als stellvertretende Hausdame anzufangen. Ein Schritt, den die Gütersloherin nie bereut hat.

Im zweiten Jahr stieg Waltraud Niermann zur Hausdame auf. Seitdem trägt sie die Verantwortung nicht nur für Sauberkeit im Haus, sondern ebenso für den Garten und überhaupt für jedes Detail im Erscheinungsbild des Hotels. Sie ist es, die jeden Gästewunsch erfüllt und dabei den Service immer weiter verfeinert.
Als einmal ein Gast unglücklich in der Lobby saß, fragte sie nach. Zu einem festlichen Anlass sei er nach Gütersloh gekommen, habe aber das Smokinghemd und die Fliege vergessen. Nur eine Stunde Zeit war bis zum Beginn des Festes, und alle Geschäfte hatten geschlossen. Die Hausdame fuhr rasch nach Hause, griff sich ein Hemd ihres Mannes und gab es dem Gast. Damit aber war es für sie noch nicht getan: In ihr Notizbuch trug sie ein: »Smokinghemden kaufen!« Am nächsten Tag war die Idee umgesetzt. Seitdem hält das Hotel jederzeit weiße Hemden in fünf Größen bereit.
Ihr Büro liegt neben der Wäscheausgabe - und damit an einer strategischen Stelle. Stets hat sie im Überblick, wie viele Bettlaken und Handtücher in die Zimmer gehen und was wieder zurück kommt. Gleich am Anfang bemerkte sie, wie häufig bei Caterings Tischdecken abhanden kamen. Sie ging der Sache nach. Eines Morgens sah sie blaue Müllsäcke neben den Mülltonnen stehen. Sie schaute hinein, und siehe da: Die Säcke waren gefüllt mit Tischdecken, die müde Caterer spät abends abgestellt hatten, um sie am Morgen in die Wäsche zu geben. In letzter Minute rettete sie die teuren Decken vor der Müllabfuhr. Seitdem wird verschmutzte Tischwäsche nur noch in transparenten Säcken gesammelt.
Die wichtigste Arbeit der Hausdame wiederholt sich jeden Tag: Einteilung und Beaufsichtigung der Zimmerdamen. Genauestens plant sie anhand der Zimmerbelegungsliste, wann welche Räume von wem gereinigt werden. Auch Arbeiten wie Fensterputzen, wöchentliche, monatliche und halbjährliche Sonderreinigungen sowie regelmäßige Inspektionen erledigt sie nach festem Plan. »Man kann nicht darauf vertrauen, es zu merken, wenn es fällig wird. Das muss man mit System machen«, erklärt die Hausdame.
Gut erinnert sich Waltraud Niermann daran, wie sie als junge Frau vor mehr als 30 Jahren mit dem Ehemann am Rohbau des Parkhotels vorbeifuhr und ihm sagte: »Dort möchte ich mal übernachten.« Jetzt, als Großmutter von sechs Enkelkindern, sagt sie: »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich hier sogar mal arbeiten würde.«

Artikel vom 05.09.2006