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»Noch vor kurzem wollte Edeka die Braut AVA um alles in der Welt nur für sich allein haben.«

Leitartikel
Marktkauf und die Branche

Im Preiskrieg
gibt es viele
Verlierer


Von Bernhard Hertlein
Glückwunsch, Marktkauf! Der Neubau des allerersten SB-Warenhauses ist geglückt. Davon werden sich heute viele Kundinnen und Kunden in Bielefeld überzeugen. Wenn ein Handelsunternehmen sich seiner Wurzeln besinnt und darauf Neues baut, ist das ein positives Zeichen.
Nicht allen in der großen Belegschaft von Marktkauf wird allerdings zum Feiern zumute sein. 1800 Stellen werden gestrichen. Bielefeld als Stammsitz der früheren AVA ist besonders betroffen.
In Schreiben an die Belegschaft hat der neue Arbeitsdirektor und Spar-Kommissar Dr. Stephan Schelo begründet, warum die Marktkauf-Flotte nach seiner Meinung in ein »außerordentlich schwieriges Wasser« geraten ist. Im Blick zurück beschreibt er das Projekt SB-Warenhaus als »Wegbereiter für preiswertes und praktisches Einkaufen«. Unschlagbar sei das Konzept gewesen - bis die Discounter Anfang der neunziger Jahre zu ihrem riesigen Boom ansetzten.
Für 2007 erwartet Schelo vor allem eines: einen »Preiskrieg im Handel« auf Grund der von der Bundesregierung beschlossenen Mehrwertsteuer-Erhöhung. Auf diesen Kampf will er Marktkauf vorbereiten. Das ist sein Job.
Will Schelo das Marktkauf-Schiff aber wirklich in Zukunftsgewässer führen, darf er nicht allein auf die Aldis und Lidls, die Plus und Normas in der deutschen Einzelhandelslandschaft starren. So wenig, wie es den Einheitskunden gibt, so wenig gibt es nur einen Weg zum Erfolg. Wer in einem SB-Warenhaus einkauft, will möglichst große Auswahl und gute Beratung - natürlich zum angemessenen Preis. Der kann allerdings auch mal über dem des Discounters liegen. Kunden, die nur preisgünstig einkaufen wollen, lassen sich durch Kopien ohnehin schwer weglocken: Im Zweifel gehen sie lieber zum Original.
Sieht man von den defizitären und deshalb zum Verkauf stehenden Bau- und Gartenmärkten ab, ist Marktkauf in einer anderen -Êund besseren - Situation als »Ihr Platz« und »Spar« gewesen sind. Bei diesen Einzelhandelsfirmen war Schelo vor seinem Antritt in Bielefeld als Sanierer tätig. Die gesamte Branche ist in der Umstrukturierung. Wal-Mart warf das Handtuch. Die Metro-Töchter Real und Extra tun sich schwer, Toom und einige andere auch. Karstadt arbeitet sich langsam aus der Krise. Rewe leistet sich aktuell sogar den Luxus, die Medien mit fragwürdigen Personalentscheidungen zu unterhalten.
Bei Marktkauf erstaunt, wie tief der Karren dem äußeren Anschein nach im Dreck stecken soll. Schelo muss nicht nur möglichst schnell mit der Wahrheit auf den Tisch, sondern auch ein Ziel vorgeben, hinter dem sich die Belegschaft versammeln kann. Wenn jede Nachricht für neue Verwirrung sorgt, ist auch der willigste Mitarbeiter irgendwann nicht mehr motiviert.
Noch vor kurzer Zeit strahlte die Braut AVA so, dass die Edeka sie um alles in der Welt nur für sich alleine haben wollte. Ehemänner haben manchmal ein kurzes Gedächtnis. Konzernvorstände sollten das nicht nachahmen.

Artikel vom 05.09.2006