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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Jegliche menschliche Herrschaft sieht die Bibel grundsätzlich kritisch, besonders aber die Alleinherrschaft, die Monarchie, von der Diktatur ganz zu schweigen. Denn immer, wo Menschen über Menschen gebieten, lauert zumindest als Gefahr der Machtmißbrauch und damit das Unrecht. Dies gilt umso mehr, je weniger die Macht begrenzt ist, kontrolliert wird und sich verantworten muß. Unter diesem negativen Vorzeichen wird die gesamte Königszeit des alten Volkes Israel gesehen und entsprechend dargestellt.
Ihr erster Vertreter ist König Saul (1. Sam. 1, 9-15). Bereits über seiner Berufung liegt etwas Widersprüchliches - vielleicht ein verschlüsselter Hinweis auf die Kompliziertheit seines Wesens überhaupt. Drei grundverschiedene Erinnerungen daran haben sich festgesetzt. Die erste ist wie im Märchen: Der Bauernsohn Saul wird von seinem Vater Kisch losgeschickt, um entlaufene Eselinnen zu suchen und wieder einzufangen. Was er dabei aber findet, ist das Königtum; denn er wird, völlig unerwartet, von Samuel zum König gesalbt.
In einer weiteren Erzählung hingegen wird der König durch das Los ermittelt. Die Stämme Israels treten dazu an; es trifft auf den Stamm Benjamin und daraus schließlich auf die Person des jungen Saul. Der jedoch hält sich zunächst versteckt. Dann aber ruft ihn das Volk per Akklamation zum König aus.
In der dritten Version schließlich muß Saul sich seine Sporen erst noch verdienen. Dazu schlüpft er noch einmal in die ansonsten veraltete Rolle eines sogenannten „großen Richters“ (s. WB, 17.06.2006). Er besiegt die Ammoniter, und wird darauf in einem Dankgottesdienst mit anschließendem Freudenfest zum König gemacht.
Diese Freude indessen soll nicht lange währen; denn bald schon geht es mit dem neuen König bergab. Saul wird immer mehr zu einer tragischen Gestalt, jemand, der zwar guten Willens ist, aber doch an seinem Auftrag scheitert, indem er immer wieder das Verkehrte tut.
Als erstes sammelt er sich ein stehendes Heer von 3000 Mann, um damit die waffentechnisch und auch zahlenmäßig überlegenen Philister in die Schranken weisen zu können. Ein Drittel dieser Truppe unterstellt er seinem Sohn Jonathan und schafft sich damit selbst ungewollt ein Dilemma. Denn im Unterschied zu seinem eher zaudernden Vater ist Jonathan ein Draufgänger, der im Alleingang, ohne Wissen und erst recht ohne Auftrag des Königs, manches tolldreiste Husarenstück unternimmt und damit auch noch Erfolg hat. Einmal erschlägt er den Wachoffizier der Philister. Saul posaunt dies sogleich als eigene Heldentat heraus, kann aber nicht verhindern, daß seine Soldaten sich angesichts der tatsächlichen Übermacht des Gegners in Höhlen und Klüften verkriechen.
In dem gesamten Hin und Her erläßt er ein Fastengebot, welches helfen soll, dem Feinde zu trotzen. Wer es übertritt, muß sterben, und zwar ohne Ausnahme. Weil Jonathan von diesem Verbot nichts mitbekommen hat, tut er sich ganz unbefangen an Honigwaben gütlich. Eigentlich schützt ihn seine Unwissenheit nicht, und er müßte hingerichtet werden. Da er aber trotzdem der Held des Tages ist, protestiert das Volk heftig, und Saul läßt sich davon nur zu gern erweichen.
Dem Volk nachzugeben aber, wird ihm beim nächsten Mal zum Verhängnis. In der Schlacht gegen die Amalekiter soll über alles der Bann verhängt werden. Im Klartext heißt das: Was gefangengenommen und erbeutet wird, ist zu töten. Saul aber - wiederum wohl dem Volke willfährig - läßt den König der Amalekiter leben und verschont die besten Stücke Vieh. Wer sich bei seinen Entscheidungen von Menschenmeinungen abhängig macht, kann freilich nicht mehr frei, sondern nur noch scheinbar, als Sklave, entscheiden, und zur Regierung taugt er nicht mehr. Daher wird Saul verworfen; sein Stern sinkt, und er agiert in Zukunft nur noch glücklos.
Daß bei derlei Grausamkeiten auch von Gott und seinem Willen die Rede ist, verschlägt einem wohl den Atem. Ist dieser Gott vielleicht ein ganz anderer als der Vater Jesu Christi, als der Gott der Barmherzigkeit und der Vergebung? Doch auch der Vater Jesu Christi bleibt den Menschen in vielem unverständlich und unterwirft sich nicht ihrem Harmoniebedürfnis. Das gilt es zu respektieren.

Artikel vom 02.09.2006