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»Deutsche Soldaten an den
Grenzen Israels sind kein Tabu«

Heute im Gespräch: Werner Hoyer, FDP-Außenexperte

Bielefeld (WB). 1200, vielleicht sogar 1400 deutsche Marinesoldaten sollen vor der Küste Libanons den Schmuggel von Waffen unterbinden. Im Kosovo, in Afghanistan und im Kongo ist die Bundeswehr bereits engagiert. Mit dem Außenexperten der FDP und früheren Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer sprach Reinhard Brockmann.

Angela Merkel hat die Fehler ihrer Vorgänger gegenüber den USA und Russland korrigiert. Läuft es außenpolitisch immer noch so rund?Hoyer: Die Kongo-Entscheidung war der erste große handwerkliche Fehler, der zweite war Libanon/Israel. Uns hätte international niemand einen Vorwurf gemacht, wenn die Bundeskanzlerin bereits vor vier Wochen gesagt hätte: Deutschland hat eine große Verantwortung im Nahen Osten. Deshalb werden wir die ersten sein, die die Ölpest beseitigen, uns humanitär einsetzen und wir werden mithelfen, zu einer politischen Lösung zu kommen - aber wir werden uns nicht militärisch engagieren. Diese Chance ist verpasst worden, und dass ist nicht gerade ein Beleg für hohe Staatskunst.

Die FDP wird den Libanon-Einsatz ablehnen?Hoyer: Die Entscheidungsgrundlagen dafür liegen noch nicht vor, deshalb lege ich mich nicht endgültig fest, aber ich tendiere zum Nein.

Werden Sie zustimmen, wenn über das Militärische hinaus ein politisches Konzept vorliegt?Hoyer: Darum geht es. Zwölf Jahre nach den Verfassungsgerichtsurteil, das Auslandseinsätze überhaupt erst möglich gemacht hat, muss einmal kritisch Bilanz gezogen werden. Wo sind denn eigentlich die angestrebten Ziele erreicht worden?
Ich halte mich an den alten Clausewitz: Wo ist das politische Ziel? Welchen Beitrag kann der militärische Einsatz zur Erreichung des politischen Ziels leisten? Und drittens: Wie komm ich wieder raus?

Außer Spesen nichts gewesen? Welche Einsätze haben nichts gebracht?Hoyer: Im Kosovo zum Beispiel kommt erst jetzt die Suche nach einer politischen Lösung langsam in Fahrt. Jahrelang gab es kaum Bemühungen um ein tragfähiges Konzept. Darüber hinaus: die Vorstellung des Westens, formal Demokratieexport zu betreiben, scheint bei Ländern mit völlig anderen politischen und kulturellen Konstellationen sehr schwierig zu sein.

Bilanz muss aber nicht nur in Berlin gezogen werden, oder?Hoyer: Dies muss im Westen auch in der obersten Liga besprochen werden. Dort sollte man einmal innehalten und fragen, wie weit sind wir denn im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gekommen? Was ist aus den Taliban geworden? Begeben wir uns nicht noch weiter auf eine schiefe Ebene, wenn wir, wie Donald Rumsfeld vorschlägt, mit Interkontinentalraketen auf die Häupter von Islamisten schießen. Würde das nicht die Eskalation steigern und noch mehr gutwillige Menschen den Extremisten in die Arme treiben?
Solche Ideen dürfen nicht aus den innenpolitischen Verhältnissen in den USA abgeleitet sein, wo bei den Kongresswahlen im November möglicherweise eine Riesenüberraschung ansteht.

US-Präsident George W. Bush hat Wahlen in Ägypten, Irak, Afghanistan und anderen arabischen Ländern veranlasst. Hat er auch bessere Verhältnisse bekommen? Hoyer: Das schlichte Durchführen von Wahlen reicht nicht aus, wenn es darum geht, Demokratie zu exportieren. Die Völkergemeinschaft begleitet mit einem riesigen Aufwand auch den Wahlprozess im Kongo. Aber dort ist letztlich der Wahlerfolg von Kandidaten abzusichern, die beide nach Auffassung vieler vor einen internationalen Strafgerichtshof gehören.

Sind vor allem islamische Gesellschaften in freiheitlichen Verhältnisse kaum vorstellbar?Hoyer: Ich kenne in Lateinamerika viele Beispiele, wo die Marktwirtschaft unterlaufen wird durch Monopolbildung. Ich kenne auch reichlich Länder in der Welt, wo die Demokratie diskreditiert wird dadurch, dass der verfassungsrechtliche Rahmen fehlt. Wenn nicht die Grundregeln des Zusammenlebens einer Gesellschaft durch eine effektive Verwaltung und ein Rechtssystem abgesichert sind, funktionieren weder Demokratie noch Marktwirtschaft.

Deutsche Sicherheitskräfte an den Grenzen zu Israel: Das letzte außenpolitische Tabu?Hoyer: Für mich ist das kein Tabu. Die Geschichte liefert keinen Vorwand, uns aus einem ernsthaften Bemühen um Frieden für den Nahen Osten herauszuhalten. Im Gegenteil. Unsere historische Verstrickung verpflichtet uns, dass diese Region befriedet wird und in ihr das palästinensische Volk und die israelische Gesellschaft in Frieden zusammenleben können.
Welchen Beitrag man dann leistet, ist eine Frage der politischen Klugheit. Das veranlasst mich zu der skeptischen Frage, ob Deutschland nicht ganz andere Aufgaben in der Region zu bewältigen hat als ausgerechnet militärische.

Weshalb sollen deutsche Kampftruppen nicht im Südlibanon eingesetzt werden?Hoyer: Das hielte ich für unvorstellbar. Über kurz oder lang würden sich bewaffnete deutsche Soldaten und israelische Soldaten gegenüberstehen, wenn es nur darum ginge, zwei Parteien auseinanderzuhalten. Zum anderen werden die Israelis nicht lange fackeln, wenn es nicht gelingt, Hisbollah zurückzudrängen und zu entwaffnen. Umgekehrt werden die Hardliner unter den islamischen Organisationen die auf die Israelis so fixierten Deutschen als Zielscheibe missbrauchen.

Artikel vom 01.09.2006