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»Erlebniseinkauf« beim Bauern

Sekt beim Discounter, Milch auf dem Köckerhof: Städter sind flexibel

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Am Rande der Großstadt, umgeben von Discount-, Super- und sogar einem Biomarkt: Kann ein Bauer mit seinem Hofladen hier überleben? Es kann es sehr gut, wie der Bioland-Betrieb Köckerhof im Norden Bielefelds beweist.
Martina (l.) und Jochen Meyer zur Müdehorst und Mitarbeiterin Silvia Plaasch in der Molkerei.

Geführt wird der 88 Hektar große Stammhof der Meyer zu Köcker von zwei Paaren: Martina und Jochen Meyer zur Müdehorst sind für die Landwirtschaft, Annette Seyfried und Klaus van Zadelhoff für den Gemüsebau verantwortlich. Die beiden Frauen führen den Laden, die Männer leisten den Großteil der Arbeit auf den Feldern und im Stall.
Mitte der achtziger Jahre sind Klaus -Ênach einem Studium der Geophysik -Êund Annette Seyfried auf einem Pachthof in Steinhagen gestartet. Den strengen Richtlinien von Bioland folgend stellten sie ihn auf ökologische Bewirtschaftung um. So war es eigentlich ein heftiger Schlag, dass der Pachtvertrag nach zwölf Jahren auslief und die Erben ihn nicht verlängerten. Doch inzwischen kooperierte das Paar mit den Betreibern des Köckerhofs, die es auf den Bioland-Treffen kennengelernt hatte. Martina und Jochen Meyer zur Müdehorst waren ihrerseits mit der Fluktuation unter den Gärtnerinnen, die bisher als Angestellte für den Gemüsebau verantwortlich waren, unzufrieden. So fand man sich, gründete eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und zog zusammen. Dass sich der Boden in Babenhausen viel besser für Gemüseanbau eignet, erleichterte den Umzug zusätzlich.
»Erlebniseinkauf«, ein Schlagwort im modernen Einzelhandel, ergibt sich auf dem Bauernhof von selbst. Nicht nur Familien mit Kindern schätzen die offenen Ställe, wo sie die 15 Kühe und ihre Nachzucht sowie etwa 35 Schweine sehen und auch mal streicheln können. 500 Legehennen leben im Freiland. Die Tiere verlassen den Köckerhof in der Regel erst zur Schlachtung im nahe gelegenen kontrollierten Schlachtbetrieb.
In einem anderen Punkt folgt Jochen Meyer zur Müdehorst, der ebenso wie seine Frau Landwirtschaft in Göttingen studierte, nicht dem Rat der Wirtschaftsexperten: »Sie wollen, dass wir uns spezialisieren; wir aber setzen auf Vielseitigkeit.« So gibt es neben Gemüse, Obst, Milch, Quark, Joghurt, Fruchtjoghurt, Frischkäse, Fleisch, Wurst, Eier und Geflügel aus der eigenen Erzeugung auch Bio-Lebensmittel, die von anderen zugekauft werden. Das kommt an, obwohl 2002 in der Nachbarschaft der Bio-Supermarkt Dengel mit längeren Öffnungszeiten und einem natürlich noch breiteren Angebot eröffnet hat. »Der Einkauf auf dem Hof ist authentischer.« Hier muss die Herkunft der Ware nicht erklärt werden: Man kann sie sehen. In manchen Disountmärkten wundere man sich dagegen, woher plötzlich die viele Bio-Ware komme.
Viele Städter kaufen allerdings beim Discounter und »beim Bauern«. Das große Einzugsgebiet macht es möglich, dass beide gut überleben. »Wir arbeiten da, wo andere spazierengehen«, sagt Meyer zur Müdehorst. Nach seiner Ansicht überwiegen die Vorteile der Stadtnähe. Aber der Bauer steht hier unter besonderer Beobachtung: »Nicht alle sehen ein, dass ein Landwirt auch wirtschaften muss.« Einen Baum fällen, der andere Pflanzen beim Wachsen hindert, stößt hier ohne Erklärung schnell auf Kritik.
Andererseits lassen sich Städter außer mit Ackerkultur auch mit Musik und Lesungen auf den Hof locken. Am Freitag war es wieder soweit: Die »DesHarmoniker« eröffneten den neuen Rinder-Laufstall des Köckerhofs mit Liedern der zwanziger Jahre.

Artikel vom 02.09.2006