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Koalition behält ihren Kurs bei

Bundeskanzlerin und ihr Vize sehen die Weichen richtig gestellt

Berlin (dpa). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt trotz deutlich sinkender Zustimmung für die große Koalition Kurskorrekturen ab. »Die Richtung stimmt in unserer Regierungsarbeit«, sagte sie gestern nach einer Klausurtagung des Kabinetts auf einer Pressekonferenz mit Vize-Kanzler Franz Müntefering (SPD).
Die Weichen seien richtig gestellt und die »Wende zum Besseren« eingeleitet. Merkel räumte jedoch ein, dass es keine breite Zustimmung in der Bevölkerung zum Reformkurs der Koalition gibt. »Das Vertrauen der Menschen in die politische Arbeit ist verbesserungswürdig«, sagte sie selbstkritisch. Es gebe ein »hohes Maß an Skepsis« und »viele Enttäuschungen«. Dies sei vor allem auf die »Reihe harter Maßnahmen« in den vergangenen neun Monaten zurückzuführen.
Dazu gehöre der Abbau von Steuervergünstigungen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder die Rente mit 67. Die Regierung müsse jetzt couragiert daran gehen, angesichts der positiven Entwicklungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt das Vertrauen der Bürger in einen langfristigen Aufschwung zu stärken.
Auch Arbeitsminister Müntefering lobte das »gute Klima« in der Regierung. Die bisherige Arbeit könne sich sehen lassen, auch wenn »mehr möglich« gewesen wäre. Gelegentliches »Kabbeln und Streiten« gehörten zu einer solchen Zusammenarbeit dazu. Keine Seite habe jedoch »die Wahrheit gepachtet«, mahnte er.
Merkel kündigte an, mögliche Mehreinnahmen für den Staat in diesem Jahr sollten vor allem für den Schuldenabbau genutzt werden. Die veranschlagte Nettokreditaufnahme von mehr als 38 Milliarden Euro sei die höchste seit 1949. Von einer Senkung werde auch die Bevölkerung etwa durch geringere Zinszahlungen profitieren.
Müntefering bekräftigte seine Vorbehalte dagegen, den voraussichtlichen Rekordüberschuss bei der Bundesanstalt für Arbeit für stärkere Beitragssenkungen zu verwenden. Angesichts der längerfristig ungewissen Kassenlage dürften nicht »vorschnell« Gelder für andere Zwecke verteilt werden. Nach den Worten des Arbeitsministers sollen die Eckpunkte für die neuen Arbeitsmarktgesetze mit den Schwerpunkten Niedrig- und Mindestlohn noch in diesem Jahr vom Kabinett beschlossen werden.
Eine Fortsetzung der Koalition über 2009 hinaus ließ er offen. Dies hänge vom Wahlergebnis ab: »Über mehr kann man nicht reden und muss man auch nicht reden.« Grundlage der Regierungsarbeit bleibe der Koalitionsvertrag, betonten Müntefering und Merkel.
Im Ringen um die Gesundheitsreform stärkte Merkel Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den Rücken und wies Kritik der Krankenkassen zurück. Bei der Umsetzung der beschlossenen Eckpunkte stimmten die SPD-Gesundheitsministerin und sie »100 Prozent überein«, sagte Merkel. Die Kanzlerin räumte ein, es handele sich um das »schwierigste Thema«, das sich die Koalition vorgenommen habe. Die Reform werde »eine sehr tief greifende Veränderung des Gesundheitswesens« mit sich bringen.
Merkel richtete wie zuvor bereits Schmidt eindringliche Forderungen an die gesetzlichen Krankenkassen, die die Reform in weiten Teilen ablehnen und vor stark steigenden Beiträgen warnen. »Die Krankenkassen kriegen völlig neue Verhandlungsmöglichkeiten«, sagte die Kanzlerin. Sie müssten viel stärkere Diskussionen hierüber führen. So könnten die Kassen künftig verstärkt Preise mit den Arzneimittelherstellern aushandeln und so Spielräume zur Kostensenkung nutzen.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle warf der Bundesregierung das Festhalten an einer falschen Strategie vorgeworfen. Die Bundesregierung bleibe »störrisch bei ihrem Kurs der wirtschaftlichen Unvernunft«, sagte Westerwelle. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 30.08.2006