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Die Stasi verhindert Barzels Kanzlerschaft

1972 scheitert das Misstrauensvotum gegen Brandt - Mindestens ein CDU-Mann ist gekauft


Berlin (WB). Er glaubt die Mehrheit sicher, doch wird bitter enttäuscht: Am 27. April 1972 stellt sich Rainer Barzel im ersten konstruktiven Misstrauensvotum gegen einen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, fordert Willy Brandt heraus. Doch Barzel hat die Rechnung ohne die Staatssicherheit der DDR gemacht. Die verhindert den Machtwechsel in Westdeutschland - mit harten D-Mark.
Um 13.22 Uhr verliest Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel das Abstimmungsergebnis. Da sich SPD und FDP fast geschlossen enthalten, sind nur 260 gültige Stimmen abgegeben worden. Die Kanzlermehrheit liegt bei 249 Stimmen - Barzel glaubt, nach dem Wechsel mehrerer ehemaliger SPD- und FDP-Abgeordneter zur Union, diese Stimmenzahl sicher zu haben. Doch tatsächlich stimmen nur 247 Abgeordnete für den CDU-Chef, zwei weniger als erforderlich. Rainer Barzel geht zur Regierungsbank und gratuliert Willy Brandt.
Was Barzel nicht einmal ahnen konnte: die Stasi hatte ihre Hände im Spiel. Wahrscheinlich zwei CDU-Abgeordnete waren aus Ost-Berlin bestochen worden. Julius Steiner aus Baden-Württemberg räumte bereits 1973 ein, seine Stimme für 50 000 D-Mark verkauft zu haben. Das ist mittlerweile durch MfS-Akten bestätigt.
Wer der zweite Abweichler war, ist bis heute ungeklärt.
Durch den Stimmenkauf hat die Stasi zwar die Kanzlerschaft Willy Brandts gerettet, doch bringt sie ihn am Ende selbst zu Fall: Brandts persönlicher Referent Günter Guillaume wird am 24. April 1974 als DDR-Agent festgenommen. Die Folge ist eine innenpolitische Krise. Willy Brandt tritt am 7. Mai 1974 als Bundeskanzler zurück.

Artikel vom 28.08.2006