28.08.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Auf der Suche
nach Europa

Literaturfest Poetische Quellen

Von Thomas Hochstätter
Bad Oeynhausen (WB). Absagen und Regenfällen zum Trotz bewies das Literaturfest Poetische Quellen auf dem Aqua-Magica-Gelände in Bad Oeynhausen und Löhne erneut bemerkenswertes Niveau.

Vier Tage lang hatten mehr als 20 Einzelveranstaltungen die Schweiz, ihre Literatur und ihre Literaten behandelt. Organisator Michael Scholz verzichtete auf zugkräftige Namen und setzte auf den Tiefgang der Beiträge. Das schlechte Wetter macht es schwer, gerecht zu urteilen, wie erfolgreich dies hätte sein können.
Ohne die erkrankte Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums, Susan Neiman, machten sich am Abschlusstag drei streitbare Europäer vor etwa 100 Zuhörern auf die Suche nach der Selbstbestimmung Europas: der bosnische Autor Dzevad Karahasan (53), der Schweizer Intellektuelle und Ex-Präsident der Akademie der Künste Adolf Muschg (72) und der OWL-Europaabgeordnete Elmar Brok (60/CDU). Sie kamen dabei zu erstaunlichen Feststellungen.
Dzevad Karahasan etwa, Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, erwies sich als bissiger Kritiker der Wirklichkeit in der Europäischen Union. Die EU und ihre Soldaten würden in seiner Heimat Bosnien als Besatzer wahrgenommen. Er benutzte die Ausdrücke »blöde, rassistische Okkupation« und verblüffte damit auch den Moderator, Ex-WDR 5-Mann Jürgen Keimer. Dafür nannte der Sohn einer gläubigen Muslimin und eines Kommunisten Goethes Werk unabdingbaren Bestandteil seiner eigenen kulturellen Grundlagen.
Auch Adolf Muschg gab den EU-Skeptiker. Er sagte, er habe schon als Gymnasiallehrer es nicht gemocht, wenn Kollegen verfügt hätten, ein Schüler gebe sich Mühe. Genau so gehe die EU mit dem Mitgliedsanwärterstaat Türkei um. Anstelle der Türken würde er nicht zu so einem schulmeisterlichen Club gehören wollen. Den EU-Parlamentariern warf er vor, sich mit der Statik eines europäischen Hauses aufzuhalten, das vom Euro zusammengehalten werde, und sich erst dann um »Möblierung mit Kultur« zu kümmern.
Brok erwiderte, man dürfe die EU nicht gering schätzen, immerhin sei sie eine Friedensgarantie. »Selbst wenn wir einmal von demnächst acht Milliarden Euro deutschen Nettozahlungen ausgingen, wäre das nur ein Drittel des Verteidigungsetats«, sagte Brok. »Gegen die Unvorstellbarkeit, mit einem EU-Nachbarn Krieg zu haben, ist alles andere Kleinkram.«

Artikel vom 28.08.2006