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Johann Wolfgang v. Goethe,
Maximen und Reflexionen

»Es gibt zwei friedliche Gewalten: das Recht und die Schicklichkeit.«

Leitartikel
Gottesrecht und Menschenrecht

Die Sache
mit der
Toleranz


Von Rolf Dressler
Schillernd bis bizarr - so bietet sich unsere vom Terror bedrohte Welt derzeit dar. Ähnliches gilt auch für die Reaktionen der bereits massiv betroffenen oder bedrohten Menschen.
Fast schon beschwörend klingen inzwischen eindringliche Mahnrufe wie beispielsweise die des orient- und abendlandkundigen Schriftstellers und Essayisten Zafer Senocak: »Islam, öffne dich endlich!« fordert er inständig und zweifelnd zugleich. Damit spricht er aus, was - leider zu Recht - längst weitverbreitetes Empfinden ist: Der Islam, der freilich alles andere als ein in sich geschlossenes Ganzes ist, dürfe sich nicht länger der bürgerlich-demokratischen Weltanschauung und deren auf christlichen Fundamenten gewachsenen säkularen Gesellschaft verschließen.
Doch das genau beschreibt ja, wie historisch dramatisch die Gewichte sich verschoben haben. Einerseits tritt die 1400 Jahre alte Kultur des Islam, wie gelähmt durch eine schon lange anhaltende Entwicklungsblockade, buchstäblich auf der Stelle, weil eine durchgreifende Erneuerung, wie Zentraleuropa sie einst dank Renaissance und Reformation erlebte, offenbar noch immer nicht in Sicht ist. Denn die eher sogar rückwärtsgerichteten islamischen Glaubens- und Daseinsauffassungen wirken, wie Zaner Senocak zutreffend sagt, in der muslimischen Welt längst nicht mehr als Quelle einer zukunftsgerichteten geistig-kulturellen Inspiration.
Vielmehr wird jeder, der Kritik am Koran und dessen Propheten Mohammed äußert, nicht nur als Gotteslästerer gebrandmarkt, sondern wegen dieser schlimmsten Straftat überhaupt unverhohlen mit dem Tode bedroht. Stärker denn je bedrückt deshalb nun auch die von Grund auf Wohlmeinenden die Schlüsselfrage, ob diese Sicht, die sich entscheidend auf das althergebrachte islamische Glaubens- und Rechtsverständnis, die Scharia, gründet, jemals mit der westlich-christlich-abendländischen Auffassung versöhnen lassen wird.
Wie kann das gehen, wenn anscheinend unverrückbar prägendes Gottesrecht so hart gegen das hiesige weltliche, von Menschen erdachte und gemachte Recht steht?
Wenn der Islam beansprucht, Staatsreligion, ja, sogar Glaubens-, Staats- und Herrschaftsform in einem zu sein?
Wenn die erschreckende Kultur der Rache, Morde um angeblicher Ehre willen und die Unterdrückung der Frau (die sich übrigens augenfällig auch im Tragen des Kopftuches ausdrückt) so herausfordernd bis zu uns nach Europa ausgreift?
Hier in Europa sind Religions-und Weltanschauungsfreiheit von der Verfassung garantiert und aus gutem Grund Religion und Staat strikt getrennt. In islamischen Ländern hingegen werden Andersgläubige als Ungläubige gedemütigt, drangsaliert, verfolgt, ermordet. Selbst im EU-Anwärterland Türkei existieren die ohnehin verschwindend kleinen christlichen Kirchen bis heute rechtlich praktisch überhaupt nicht.
Wer also hat eigentlich von wem Toleranz einzufordern?

Artikel vom 26.08.2006