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Ausweg aus der Warteschleife

Handwerkskammer startet Pilotprojekt für Jugendliche ohne Lehrstelle

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Die Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld geht neue Wege im Kampf gegen die Lehrstellenmisere. Bundesweit einmalig werden Jugendliche ein Jahr lang in Berufsschule und Handwerksbildungszentren auf einen Beruf vorbereitet. Außerdem absolvieren sie mehrwöchige Betriebs-Praktika.

Das so genannte »berufsbezogene Berufsgrundbildungsjahr« (BGJ) startet im Februar 2007 mit 160 Teilnehmern in Bielefeld. Wie Kammerpräsidentin Lena Strothmann und Geschäftsführer Elmar M. Barella gestern erklärten, hat die Landesregierung Zustimmung signalisiert und die Finanzierung zugesagt.
Neue Ideen tun not, denn die Ausbildungsplatzsituation in OWL ist ernst. Die Handwerkskammer zählte bis Ende Juli 2384 neue Lehrverträge. Gegenüber dem Vorjahr ergab sich ein Rückgang von 3,5 Prozent. Neben der regelmäßigen Aufforderung an die Handwerksbetriebe, Lehrstellen zu schaffen, soll das zusätzliche Ausbildungsangebot für Entspannung sorgen. Nach Angaben von Elmar Barella zielt es auf Berufe ab, in denen Lehrstellen in der Vergangenheit unbesetzt blieben, die aber dennoch gute Perspektiven bieten. Das sind: Metallbauer, Maler und Lackierer, Feinwerkmechaniker, Anlagenmechaniker, Augenoptiker, Änderungsschneider, die Bauberufe, Fachverkäufer im Lebensmitteleinzelhandel und Zahntechniker. Für das BGJ kommen Abiturienten, Realschulabsolventen und Hauptschüler mit Mittlerer Reife in Frage. Während der zwölf Monate wird nur in einem Beruf ausgebildet.
Barella erläuterte: »Während die fachtheoretische Ausbildung an zwei Tagen in der Schule vermittelt wird, erfolgt die fachpraktische Ausbildung an drei Tagen wöchentlich in einem Bildungszentrum.« Das BGJ sei kein Ersatz für die herkömmliche Ausbildung, werde aber darauf angerechnet. Bei einem dreijährigen Ausbildungsberuf verringere sich die Lehrzeit so um zwölf Monate. Geld bekomme der Jugendliche in dem einen Jahr nicht, weil er nur den Status eines Schülers habe. Barella sieht für Auszubildende und Betriebe Vorteile: Bei den Praktika könnten Unternehmen willige Azubis kennenlernen und ihnen einen Lehrvertrag anbieten, wenn sie sich bewähren. Umgekehrt hänge der unversorgte Jugendliche nicht in der Warteschleife fest und werde auf Lehre und Berufsleben eingestimmt. »Die Betriebe bekommen bereits geschliffene Lehrlinge«, betonte Lena Strothmann.
So wie Barella erwartet sie eine Zunahme der Ausbildungsverträge. Weil das BGJ auf die Laufzeit angerechnet werde, könnten bei dreijährigen Ausbildungsberufen in sechs Jahren drei statt zwei Lehrlinge mit dem nötigen Rüstzeug versorgt werden. Nach dem Start in Bielefeld soll das Modell auf ganz OWL ausgeweitet werden. Zur Zeit werden 12 400 Männer und Frauen in Handwerksbetrieben für ihren späteren Beruf ausgebildet. Mit dem neuen Konzept will das Handwerk seinen Ruf als »Ausbilder der Nation« untermauern. Lena Strothmann: »Jeder zehnte Arbeitsplatz im Handwerk ist ein Ausbildungsplatz. Das gibt es in keinem anderen Wirtschaftszweig.« Um es den Betrieben zu erleichtern, Jobs und Lehrstellen zu schaffen, sollten die bei der Bundesagentur für Arbeit freigewordenen Geldreserven zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden. S.4: Kommentar

Artikel vom 25.08.2006