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Sie hat die Chance auf ein normales Leben

Trauma-Experte: Psyche kann trotz langer Leidenszeit erlittenen Schrecken verarbeiten

Gladenbach/Wien (dpa). Die entführte Natascha Kampusch hat nach Ansicht des Trauma-Experten Georg Pieper trotz des erlittenen Martyriums Chancen auf ein normales Leben. »Die Psyche ist sehr erfinderisch und findet immer wieder Möglichkeiten, um mit Dramen umzugehen«, sagte Pieper.
Natürlich stehe die Frage im Raum: Wie soll das Leben dieses Opfers weiter gehen? »Ich würde aber nicht sagen, das Mädchen ist verloren.«
Die Traumatisierung Nataschas sei mit anderen Traumata kaum zu vergleichen. »Normalerweise erleben die Menschen einen kurzen Moment der großen Gefahr und übertragen die Todesangst auf eine Vielzahl von Situationen«, schilderte Pieper. In der Therapie könne man aufzeigen, dass diese Übertragung unbegründet ist. »Bei diesem Mädchen war die traumatische Situation jedoch nicht die Ausnahme, sondern wurde ein Dauerzustand.«
Zu dem Schicksal von Natascha gebe es kaum vergleichbare Fälle. »Kein Therapeut dürfte deshalb ein Patentrezept haben«, sagte Pieper. Er fühle sich an ein Labyrinth erinnert, wo der Therapeut zunächst nur sagen könnte, welches der falsche Weg ist. »Sinnvoll dürfte aber in jedem Fall eine therapeutische Langzeithilfe für die 18-Jährige und ihre Familie sein.«
Erschwerend für die Verarbeitung sei, dass der Entführer Selbstmord begangen hat. »Dadurch gibt es nur die psychologische Realität des Mädchens - diese muss nicht den objektiven Gegebenheiten entsprechen«, betonte der Psychologe. In den acht Jahren der Geiselhaft müsse zwischen dem Täter und seinem Opfer eine Beziehung entstanden sein. »Die Frage ist, ob diese von Gewalt geprägt war oder in irgendeiner Form menschliche Züge hatte.«
Was das Tatmotiv des Entführer von Natascha war, der nie eine Forderung gestellt hatte, wird nach seinem Selbstmord nicht mehr zu klären sein. Der Kriminalpsychologe Rudolf Egg aus Wiesbaden vermutet dazu: »Sein Hauptmotiv dürfte wohl gewesen sein, jemanden zu haben, der bei ihm bleibt und ihn nicht verlässt.«
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Artikel vom 25.08.2006