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Als sichtbares Zeichen
der Ökumene gebaut

Vor 77 Jahren wurde die Spiegelsche Kapelle eingeweiht

Von Annemargret Ohlig und
Markus Poch (Fotos)
Senne (WB). Zu ihr führt kein Wegweiser und keine gut ausgebaute Straße mit Touristenparkplatz. Und doch ist die kleine Sandsteinkapelle, mitten im Teutoburger Wald auf einem Bergrücken oberhalb des Spiegelsberger Wegs in Senne gelegen, etwas ganz Besonderes: Sie ist Deutschlands erste ökumenische Kirche.

Als die Christopherus-Kapelle vor genau 77 Jahren, am 21. August 1929, von Prof. Dr. Friedrich Heiler, dem Begründer der evangelisch-katholischen Bewegung, eingeweiht wurde, hatte die Familie von Spiegel mit diesem Gotteshaus eine ebenso ungewöhnliche wie beispielhafte Stätte geschaffen. In diesem Sakralbau war fortan das Trennende zwischen den Konfessionen ohne Bedeutung.
»Meine Mutter hatte den Wunsch nach einer einigen heiligen Kirche und einer Andachtsstätte, die über Glaubensgrenzen hinweg den Menschen offen steht, schon seit vielen Jahren gehabt«, sagt Dr. Melanie Freiin von Spiegel. Die Konfirmation ihrer jüngeren Schwester sei der Anlass gewesen, habe die Mutter, eine geborene von Kleist, erzählt. Die 17-jährige Carla musste damals miterleben, dass ihrem Vater, einem preußischen Offizier, das Abendmahl beim Konfirmationsgottesdienst in der evangelisch-lutherischen Kirche verwehrt wurde.
»Mein Großvater war zwar religiös und evangelisch, aber eben nicht lutherisch und durfte deshalb nicht mitgehen«, weiß Dr. Melanie von Spiegel aus Erzählungen. Als er zwei Tage später plötzlich starb, bedrückte das ihm verwehrte Abendmahl seine Witwe und die beiden Töchter zusätzlich und machte ihnen sehr zu schaffen. Der Wunsch, das Trennende im Glauben aufzuheben, begleitete die junge Carla von Kleist auch nach ihrer Eheschließung 1920 mit Gebhard von Spiegel und dem damit verbundenen Umzug auf den Stammsitz derer von Spiegel in Senne I.
Die Idee, eine ökumenische Waldkapelle errichten zu lassen, nahm Ende 1928 konkrete Formen an. Inzwischen gab es noch einen weiteren Grund für den Bau, der schriftlich in einem der Kapellen-Dachbalken festgehalten ist: »Gebaut 1927 als Dank für das Leben des Rabanus Benito Spiegel«, des jüngsten Sohnes der Familie.
Ein passendes Gelände war bald oberhalb des Spiegelschen Herrenhauses gefunden. »Außerdem besaß mein Vater einen Steinbruch, aus dem der Sandstein für den Bau stammt«, sagt Dr. Melanie von Spiegel. Und auch die »Baupolizei« in Brackwede stand dem Vorhaben höchst wohlwollend gegenüber.
Am 3. November 1928 stellte Gutsverwalter Rabente dort im Namen der Familie von Spiegel einen Antrag auf Bau einer etwa vier mal fünf Meter großen Waldkapelle. Knapp zwei Wochen später, am 16. November, war die Genehmigung bereits erteilt.
Beim Bau des Kirchleins waren in erster Linie Senner Handwerker beteiligt. Die Kirchenbänke - wegen der ökumenischen Ausrichtung der Kapelle befinden sich davor auch (katholische) Kniebänke - haben Tischler aus heimischem Eichenholz gearbeitet. An den Stirnseiten auf der einen Seite wurde das von Spiegelsche und auf der anderen Seite das von Kleistsche Wappen angebracht.
»Meine Eltern haben immer Menschen aus dieser Gegend beschäftigt«, erinnert sich Dr. Melanie von Spiegel. Nur für die künstlerische Ausgestaltung des schlichten Sakralbaues verpflichtete man den Freiburger Kirchenmaler Hans Franke. Der vollendete sein Werk 1931. Links im Eingangsbereich hat er die Gestalt gemalt, die der Kapelle ihren späteren Namen gab: St. Christopherus. Dem Gesicht des »Christusträgers« hat Franke übrigens die Züge von Prof. Heiler gegeben. Auf der rechten Seite befinden sich die Mutter Maria St. Franziskus und über dem rotbraunen Sandstein-Altar hat Franke eine naturgetreue Landschaft gemalt, über der Gott Vater seine segnenden Hände ausbreitet.
Auch an die beiden im Zweiten Weltkrieg gefallenen Söhne der Familie erinnern Bilder an den Seitenwänden der Kapelle. Der ursprüngliche Grundgedanke für den Bau der Kapelle - der »Glaube an eine einige heilige Kirche« - findet sich deutlich sichtbar als goldener Schriftzug an der Kirchenwand wieder. Die Kapelle, die seit 1996 unter Denkmalschutz steht, ist gleichwohl nicht zu einem Denkmal geworden. Der Geist der Ökumene lebt in ihr auch heute noch sichtbar weiter. In dem kleinen Kirchlein finden Trauungen und inzwischen verstärkt auch Taufen statt.
Die nächste Folge unserer Serie »Anno dazumal« erscheint am 15. September und beschäftigt sich mit der Namensgebung Sennestadts.

Artikel vom 23.08.2006