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Ernst R. Hauschka

»Gegen Wissenszuwachs wäre nichts einzuwenden, wenn wir Menschen dadurch gescheiter würden.«

Leitartikel
Blickpunkt Bühne 2006

Madonna
und
Veronica


Von Rolf Dressler
Madonna ist wieder mal auf Tour. Und wie jüngst auch in Düsseldorf bringt der Megastar der Popkultur sein Publikum auf Touren. Diese Drehzahl-Rekorde macht der Bühnen-Königin aus Merry Old England kaum ein anderer ihrer Spezies nach.
Wohlkalkuliert und höchst werbewirksam umschmücken Vermarkter, Regisseure und Madonna selbst deren Auftritte mit, gelinde gesagt, deftigen Anzüglichkeiten und Grenzüberschreitungen. Als außerordentlich verkaufsfördernd für die neueste Show-Darbietung erweist sich der Einfall, dass Madonna ihr Lied »Live to tell« (»Leben, um zu erzählen«) mit Dornenkrone auf dem Haupt und wie Jesus am Kreuz hängend vorträgt. Das befeuert das ohnehin gigantische Interesse nur noch zusätzlich.
Die Staatsanwaltschaft sieht keinerlei Veranlassung, gegen Madonna wegen »Beschimpfung und Verhöhnung von Religionsgemeinschaften« auch nur vorzuermitteln. Und gänzlich ins Leere laufen auch beide großen christlichen Kirchen, deren Proteste «liberal-modernen« Beliebigkeits-Zeitgeistern ohnehin meist nur noch ein mitleidiges oder abschätziges Lächeln abnötigen.
So bejubeln die Feuilletons der Zeitungen und Magazine denn das, was die Leute von heute of- fenbar über die Maßen schätzen: eine Madonna, die »damenhaft und schön obszön die Schlampe gibt«, »absolut geschmacklos, aber total genial« - kurzum: ein laut »Frankfurter Rundschau« durch und durch »würdevoller Auftritt«. Denn schließlich trage Madonna, die beinahe schon überirdische Gesangs-Ikone, die Dornenkrone, um die Blicke auf die Aids-Waisen in Afrika und überhaupt alle Armen und Notleidenden dieser Welt zu lenken. Hier wende sich angeblich nur vorgetäuschte Gotteslästerung in Wahrheit zur selbstlos-guten Tat, schreibt ergebenst Madonnas vereinigte Verehrergilde.
Geradezu wohltuend dagegen Deutschlands gleichaltrige Schauspieler-Ausnahmeerscheinung Veronika Ferres. Sie hatte die Bühnen-Attraktion der »Ruhrtriennale 2006« werden sollen - in der Rolle einer alternden Hure in dem grob reißerischen Stück »Courasche oder Gott, lass nach«.
Doch als Veronica Ferres gewahr wurde, wie abstoßend vulgär und ordinär die Dialoge darin durchgängig abgefasst sind, stand ihre Entscheidung fest: Das wollte sie weder sich selbst noch ihrem Publikum zumuten. Enttäuscht rief »Ruhrtriennale«-Regisseur Jürgen Flimm ihr nach, eine Hure rede nun einmal »nicht so wie eine Außenmisterin«. Damit freilich bestätigt auch er doch nur, was wir heutzutage x-fach miterleben: dass nichts zu abgeschmackt und zu pervers ist, als dass es nicht auf irgendeiner Theater- oder Popmusikbühne oder in Kunstausstellungen zum Zuge käme.
Zu weit verbreitet ist das Macher-Motto: Hauptsache, wirschockieren das blöde, spießige Publikum mal wieder so richtig! Oder: Seht her, was für tolle Künstler wir sind, so interessante Macken wie wir hat keiner...!

Artikel vom 24.08.2006