22.09.2006
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Ich glaube er hat seine beiden Eltern abgelehnt, und das ist doch wirklich traurig. Er hat mir erzählt, dass sie eigentlich recht wohlhabend waren. Sein Dad hatte eine kleine Firma - Druckerei, hat er gesagt, meine ich -, die er wiederum von seinem Vater geerbt hatte. Aber er war kein guter Geschäftsmann. Er hat einen Partner mit ins Geschäft genommen, der ihn übers Ohr gehauen hat, und die Firma ist Pleite gegangen. Und dann hat er Krebs bekommen - genau wie Dans Mutter, nur bei ihm war es die Lunge - und ist gestorben, und sie haben festgestellt, dass er nicht mal eine Lebensversicherung hatte. Da war Dan erst drei, deshalb erinnert er sich eigentlich nicht an seinen Dad. Dan und seine Mutter sind dann zu ihrer älteren Schwester und deren Mann gezogen. Die beiden hatten keine eigenen Kinder, deshalb sollte man meinen, sie hätten den Jungen ins Herz geschlossen, aber weit gefehlt. Sie gehörten einer dieser puritanischen Sekten an, für die alles Sünde ist, was Spaß macht. Sie haben ihn sogar dazu gebracht, einen anderen Namen anzunehmen. Er wurde Wayne getauft, Daniel ist eigentlich sein zweiter Name. Er hatte eine fürchterliche Kindheit, und danach ist für ihn irgendwie immer alles schief gelaufen. Sein Onkel hat ihm das Zimmermannshandwerk und Malen und Tapezieren beigebracht - Dan ist handwerklich sehr geschickt. Aber er war nie ein Insulaner und wird es auch nie sein. Natürlich hat er mir nicht gleich alles über seine Kindheit verraten. Das kam Stück für Stück über die Monate hinweg. Genau wie Sie sagten, wir brauchen alle jemanden, mit dem wir reden können.«
Dalgliesh sagte: »Aber wieso bleibt er dann noch hier, nachdem seine Mutter gestorben ist?«
O
»Spricht denn etwas dagegen?«
»Na ja, man hört so einiges. Selbstmord schreckt die Leute ab, nicht wahr? Und Mord natürlich auch. Aber man bringt doch niemanden um, bloß weil er manchmal Ärger macht. Außerdem blieb Mr. Oliver immer nur vierzehn Tage, er wäre also in weniger als zwei Wochen wieder weg gewesen. Also, wenn er ermordet wurde, dann muss irgendjemand unbemerkt auf die Insel gelangt sein, was wir immer schlechterdings für unmöglich gehalten haben. Und wie ist er wieder weggekommen? Würde mich nicht wundern, wenn er noch hier ist, sich irgendwo versteckt hält. Kein schöner Gedanke, nicht?«
»Und was ist mit Millie? Die hat Mr. Maycroft doch auch eingestellt, oder?«
»Ja, aber ich glaube, da hatte er praktisch keine andere Wahl. Jago Tamlyn hat sie in Pentworthy bettelnd auf der Straße aufgelesen, und irgendwie hat ihm das Mädchen Leid getan. Er hat ein weiches Herz, unser Jago, besonders für junge Leute. Er hatte eine Schwester, die hat sich aufgehängt, nachdem sie von einem verheirateten Mann verführt und geschwängert worden war. Vielleicht sieht Millie ihr ein bisschen ähnlich. Also hat er Mr. Maycroft angerufen und ihn gefragt, ob er sie auf die Insel mitbringen darf und ob sie so lange irgendwo wohnen und arbeiten könnte, bis er einen Weg gefunden hat, wie es mit ihr weitergehen soll. Sonst würde sie bestimmt bald mit der Polizei zu tun haben. Also hat Mr. Maycroft gesagt, sie soll Mrs. Burbridge bei der Wäsche helfen und mir in der Küche. Im Großen und Ganzen ist Millie in Ordnung. Sie ist tüchtig, wenn sie will, und ich kann mich nicht beschweren. Trotzdem, ein so junges Mädchen gehört nicht auf die Insel. Sie braucht Umgang mit Gleichaltrigen und einen richtigen Arbeitsplatz. Millie ist mehr mit der Näherei beschäftigt als bei mir in der Küche, und ich weiß, dass Mrs. Burbridge sich Sorgen um sie macht. Andererseits ist es ja auch nett, mal ein bisschen junges Blut auf Combe zu haben.«
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»Sie ist jedenfalls kein einfacher Mensch. Kritik geht ihr leichter über die Lippen als ein Dankeschön. Doch sie hat es auch nicht einfach gehabt, die arme Frau. Sie war an ihren recht betagten Vater gebunden, musste nach seiner Pfeife tanzen. Mrs. Burbridge hat mir erzählt, dass sie sich mit dem Sekretär ihres Vaters verlobt hat. Dennis Tremlett. Den haben Sie natürlich auch schon kennen gelernt. Wenn sie das wirklich will, dann wünsche ich den beiden, dass sie glücklich werden. An Geld wirdÕs ihnen ja wohl nicht fehlen, und das ist immer eine gute Voraussetzung.«
Kate sagte: »Hat die Verlobung Sie überrascht?«
»Bis heute Morgen hatte ich keine Ahnung davon. Ich hab die beiden einfach zu selten gesehen, um mir über sie oder ihn eine Meinung zu bilden. Wie gesagt, wir sollen die Gäste in Frieden lassen, und das tu ich auch. Wenn sie in die Küche kommen möchten, ist das was anderes, aber ich suche nicht von mir aus Kontakt zu ihnen. Dafür hab ich auch gar nicht die Zeit. Ich würde nicht viel geschafft kriegen, wenn in meiner Küche ein ständiges Kommen und Gehen herrschte.«
Letzteres sagte sie leichthin, anscheinend ohne damit bewusst etwas andeuten zu wollen, doch Kate warf Dalgliesh einen Blick zu. Er nickte. Es war ein guter Zeitpunkt zu gehen.
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Artikel vom 22.09.2006