18.09.2006
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»Irgendwer - Oliver entweder mit diesem Lektor oder seiner Tochter - muss Adrian zurück in sein Cottage getragen haben. Er brauchte zwei Tage, um wieder nüchtern zu werden. Wir wussten nicht, was los war, nur dass er getrunken hatte. Wir dachten, er sei im Haupthaus irgendwie an Wein gekommen, aber wir konnten uns nicht erklären, wie. Zwei Tage später setzte Adrian mit Jago über, um die Vorräte für die Woche zu holen, und verschwand. Ich fuhr später im selben Monat in meine Londoner Wohnung und fand ihn eines Tages vor meiner Tür, sternhagelvoll. Ich habe ihn aufgenommen und mich einige Wochen um ihn gekümmert. Dann habe ich ihn wieder hierher gebracht. Ende der Geschichte. Während wir zusammen waren, hat er mir erzählt, was passiert war.«
»Das war bestimmt nicht leicht für Sie.«
F
»Wusste hier auf der Insel jemand was davon?«
»Ich habe Guy angerufen, um ihm zu sagen, dass es mir gut ging und dass Adrian bei mir war. Ich habe ihm nicht erzählt, wo ich war. Nur Jago habe ich eingeweiht. Er ist öfter gekommen und hat mich an seinen freien Wochenenden abgelöst. Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft. Einer von uns beiden hat Adrian immer im Auge behalten. Gott, es war manchmal langweilig, aber wissen Sie was, rückblickend war ich, glaube ich, ganz glücklich, vielleicht glücklicher als seit vielen Jahren. Wir sind spazieren gegangen, haben uns unterhalten, gekocht, Karten gespielt, Stunden vor dem Fernseher gehockt und uns Wiederholungen von alten BBC-Serien angeschaut, manche davon - zum Beispiel Das Juwel der Krone - liefen über Wochen. Und natürlich hatten wir Bücher. Er hat es uns leicht gemacht. Adrian ist freundlich, intelligent, sensibel und witzig. Er jammert nicht. Als er das Gefühl hatte, dass die Zeit dafür reif war, kehrten wir nach Combe zurück. Keiner stellte irgendwelche Fragen. So leben die Menschen hier. Sie stellen keine Fragen.«
»Hat er sich innerlich von der Kirche entfernt, weil er Alkoholiker war? Hat er Ihnen dazu etwas gesagt?«
Ja, soweit wir über diesen Bereich miteinander kommunizieren können. Ich verstehe nicht viel von Religion. Zum einen wohl wegen seiner Trunksucht, aber hauptsächlich, weil er den Glauben an einen Teil der Lehre verloren hatte. Warum ihn das so belastet hat, kann ich nicht nachvollziehen. Ich hab immer gedacht, das wäre doch gerade der Vorteil unserer guten alten anglikanischen Kirche: dass man praktisch glauben kann, was man will.
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Dalgliesh sagte: »Manichäismus.«
»Ja, könnte sein. Scheint mir ganz einleuchtend. Zumindest erklärt dieser Glaubenszweig das Leiden der Unschuldigen, dem sonst immer nur mit fadenscheinigen Begründungen ein Sinn abgerungen werden kann. Wenn ich überhaupt einen Glauben hätte, dann wärÕs der. Wahrscheinlich bin ich, ohne es zu wissen, Manichäerin - wenn das das richtige Wort dafür ist -, seit zum ersten Mal ein Kind vor meinen Augen an Krebs gestorben ist. Aber anscheinend darf man so was als Christ nicht glauben, und ich vermute als Priester schon gar nicht. Adrian ist ein guter Mensch. Ich selbst bin vielleicht nicht gut, doch ich erkenne es bei anderen. Oliver war böse, Adrian ist gut.«
Dalgliesh sagte: »Wäre es so einfach, dann wäre mein Job ein Kinderspiel. Danke, dass Sie es mir erzählt haben.«
»Und Sie werden Adrian nicht auf seinen Alkoholismus ansprechen? Das war unsere Abmachung.«
»Wir haben keine Abmachung, aber ich werde ihn vorläufig nicht darauf ansprechen. Vielleicht wird es auch gar nicht nötig sein.«
»Ich werde ihm sagen, dass Sie Bescheid wissen, das finde ich nur fair. Vielleicht erzählt er Ihnen dann selbst davon. Danke für den Wein. Ich werde mich jetzt verabschieden. Sie wissen ja, wo Sie mich finden.«
Dalgliesh sah ihr nach, wie sie sich unter dem Sternenhimmel mit selbstbewussten Schritten entfernte, dann spülte er die beiden Weingläser aus und verriegelte die Cottagetür. Also gab es drei Menschen mit einem möglichen Motiv: Adrian Boyde, Jo Staveley und wahrscheinlich auch Jago, der seine freien Wochenenden geopfert hatte, um Jo abzulösen - eine Großzügigkeit, die vermuten ließ, dass Jago wie Jo Staveley Olivers Grausamkeit heftig verabscheute. Aber hätte Jo Staveley ihm das alles anvertraut, wenn sie wüsste oder auch nur vermutete, dass einer der anderen beiden schuldig war? Wahrscheinlich ja, falls sie eingesehen hatte, dass er früher oder später zwangsläufig auf die Wahrheit stoßen musste. Keiner der drei schien als Täter wahrscheinlich, doch galt das für alle auf Combe Island.
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Buch drei
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Artikel vom 18.09.2006