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Noch einmal davongekommen:
Zünder der Bomben versagten

Fahnder in Sorge: Bauen die Attentäter schon am nächsten Sprengsatz?

Von Michael Biermann
Wiesbaden (dpa). Das Szenario ist erschreckend und erinnert an die Anschläge von London und Madrid mit zahlreichen Toten: Zwei Bomben explodieren zeitgleich in zwei Regionalzügen, Menschen werden getötet und verletzt, Waggons brennen und entgleisen. Nur handwerkliche Fehler der Bombenbauer haben verhindert, dass Deutschland wie Spanien und Großbritannien eine traumatische Erfahrung mit Terroranschlägen dieses Kalibers machen musste.
Solche Reisewecker verwendeten die Täter beim Bau der Bomben.Ein Einkaufszettel? In arabischer Schrift sind Lebensmittel und eine Telefonnummer notiert.
»Wir wissen definitiv, dass eine Zündauslösung erfolgt ist«, sagte Ziercke zu den Ermittlungen im Fall der Kofferbomben, die im Juli in Regionalzügen in Dortmund und Koblenz gefunden wurden. Das BKA zeigt dazu auf Ermittlungsfotos zerstörte Zündmechanismen.
Auch wenn das BKA inzwischen Plan und Ausführung präzise schildern kann, bei Fragen nach den Tätern und ihren Hintergründen halten sich die Fahnder bedeckt. Ein Zettel, auf dem in arabischer Schrift neben einer Telefonnummer im Libanon Lebensmittel wie ein im Libanon verbreiteter Joghurt notiert sind, und Plastiktüten mit Speisestärke aus demselben Land weisen zwar auf den Nahen Osten hin, dennoch nannte Ziercke einen islamistischen Hintergrund immer wieder nur eine mögliche Hypothese. »So weit würde ich nicht gehen«, lautete sein Kommentar auf die Frage, ob es in Deutschland womöglich wie in Großbritannien einen hausgemachten islamischen Terrorismus gebe.
Die Bundesanwaltschaft unterstützte Ziercke in seiner Vorsicht. Ermittelt wird wegen Mordversuchs und Bildung einer inländischen terroristischen Vereinigung. Ausländer werden nicht gesucht. Dazu weisen die Ermittler auf Unterschiede zwischen dem geplanten Anschlag auf die beiden Regionalzüge in Dortmund und Köln und den Anschlägen von Madrid und London hin.
Die beiden deutschen Züge waren nicht in der Hauptverkehrszeit unterwegs und hatten vergleichsweise wenig Fahrgäste an Bord. Die Bomben sollten auf freier Stecke und nicht innerhalb von Bahnhöfen explodieren, und die Bombenleger waren keine Selbstmord-Attentäter, sondern verließen irgendwo unterwegs die Züge.
Auch wenn voraussichtlich weniger Opfer zu beklagen gewesen wären als in Madrid und London - der Doppelanschlag wären dennoch ein Fanal geworden.
Zur Frage nach einer verstärkten Videoüberwachung gab es von Ziercke nur den Kommentar, das sei eine politische Frage. Die wurde prompt von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) beantwortet. Er forderte in Berlin eine Ausweitung dieser Überwachungstechnik. Der Innenminister möchte sie beispielsweise auch im öffentlichen Nahverkehr einsetzen.
Wie erfolgreich diese Überwachungstechnik ist, führten die BKA-Experten in Wiesbaden nachdrücklich vor: In verschiedenen Sequenzen zeigten sie Videoaufnahmen von den zwei verdächtigen jungen Männer auf einem Bahnsteig im Hauptbahnhof Köln, wo beide Regionalzüge am 31. Juli - dem Tattag - kurz hintereinander auf demselben Gleis gehalten hatten. Minutenlang sind die inzwischen bundesweit Gesuchten von vorn, von der Seite und von hinten zu sehen, mit Rollkoffern auf einer Treppe, auf dem Bahnsteig und auf dem Weg zum Zug.
Die 100 BKA-Fahnder, die auf den Fall angesetzt sind, haben trotz ihrer erfolgreichen Aufklärungsarbeit keine Ruhe. Sie treibt die Sorge um, dass die Bombenbauer aus ihren Fehlern gelernt haben und schon den nächsten Anschlag vorbereiten - diesmal mit funktionstüchtigen Zündern. Die Ermittlungen liefen weiterhin rund um die Uhr, versicherte Zielke.

Artikel vom 19.08.2006