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Weniger Krach im Klassenzimmer

Lärmampel misst Geräuschpegel - Pilotprojekt an Grundschulen in OWL

Von Dietmar Kemper
Detmold/Herford (WB). Wenn die Lärmampel auf Rot schaltet, ist es im Klassenzimmer bereits zu laut. Das 400 Euro teure Gerät soll wie ein erhobener Zeigefinger wirken und den Geräuschpegel in 14 Grundschulen in Detmold, Lemgo und Horn-Bad Meinberg senken helfen.

»Immer mehr Kinder haben Probleme mit Geräuschen im Ohr«, sagte der Leiter des Tinnitus Zentrum Detmold, Manfred Pilgramm, dieser Zeitung. Mit dem Schulpsychologischen Dienst der Stadt hat er das Projekt »Lärmampel« ausgearbeitet. Vertreter der 14 Grundschulen holen sich die Geräte, die wie eine Verkehrsampel aussehen, am 31. August bei der Bezirksregierung Detmold ab und setzen sie zweieinhalb Monate lang in den Klassen ein.
Lehrer protokollieren jede Woche ihre Erfahrungen, zudem wird der Lärmpegel vor und nach der Projektphase gemessen. In Schulen soll es nach Möglichkeit nicht lauter als 55 Dezibel sein, der gehörgefährdende Wert liegt bei 75 Dezibel. Ein Schallpegel auf diesem Niveau sei in Klassenräumen »durchaus normal«, haben Pilgramm und Schulpsychologe Josef Hanel beobachtet. Damit die Lehrer in den letzten Reihen verstanden werden, müssten sie nicht selten noch lauter sprechen. Hanel: »Bei 85 Dezibel spricht man in der Industrie von einem Lärmarbeitsplatz, an dem Gehörschutz Pflicht wäre.«
Die Lärmampeln der Firma Org-Delta im schwäbischen Reichenbach können auf einen Grenzwert eingestellt werden und schlagen optisch und akustisch Alarm, wenn er überschritten wird. Ähnliche Ampeln gibt es bereits in den Kreisen Herford und Paderborn. Anfang Mai brachte die Herforder Firma »easyplay« von Michael-Matthias Pohl, Gitarrist der Band »Mungo Jerry«, entsprechende Geräte für Grundschulen und Kindertagesstätten auf den Markt. Schnell gingen für das »pädagogische Hilfsmittel« mehr als 100 Bestellungen ein. Eingesetzt werden die Ampeln zum Beispiel in Schulen in Hiddenhausen.
Im Kreis Paderborn schaffte der Förderverein der katholischen Grundschule Nordborchen eine Lärmampel an, um die Kinder für ungesunden Lärm sensibel zu machen. Handelt es sich hierbei noch um Einzelfälle, möchten Pilgramm und Hanel mittelfristig die Lärmampeln im Kreis Lippe flächendeckend etablieren. Sie hoffen auf Sponsoren aus der Wirtschaft. Die Innungskrankenkassen (IKK) und der Hörgerätehersteller Audio Service, der zum Siemens-Konzern gehört, hätten bereits ihre Unterstützung zugesagt, berichtete Pilgramm.
Lärm in der Klasse untergräbt nicht nur die Aufmerksamkeit und erschwert das Lernen, sondern belastet auch die Gesundheit der Lehrer. Häufige Heiserkeit und Ohrgeräusche sind die Folgen. »Auch deshalb werden relativ viele Pädagogen arbeitsunfähig«, sagte der Hals-Nasen-Ohrenarzt Pilgramm. Für Menschen mit Hyperakusis (Lärmüberempfindlichkeit) sei die Geräuschkulisse in den Klassen eine Qual. Neben der Ampel erhalten die Grundschulen Broschüren und Tipps für die Behandlung des Themas Krach im Unterricht. Außerdem raten Pilgramm und Hanel zu Stilleübungen und Kommunikationstrainings. Nach den Grundschulen sollen die Lärmampeln in den lippischen Kindertagesstätten Einzug halten.

Artikel vom 22.08.2006