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Eine Metapher für
Nähe und Distanz

Fotos von Mauern in Altstadt Nicolai

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Mauer. Bitte sagen Sie etwas zum Thema »Mauer«. Berliner Mauer. Gefängnismauer. Mauer des Schweigens. Warum so negativ? Dass Mauern eine kommunikative, geradezu verbindende Wirkung auf Menschen haben können, zeigt Anne vom Hofe in ihrer Foto-Ausstellung in der Altstädter Nicolaikirche.

Ausgangspunkt für die Neugier der Künstlerin, die an der Heeper Grundschule am Homersen Kunst und Religion unterrichtet, waren die niedrigen Erd- und Steinwälle auf Lanzarote. Die Bewohner der Insel, auf der die 26 »Mauer«-Bilder entstanden, nutzen diese Wälle aus vulkanischem Material als Feuchtigkeitsspeicher, um Gemüse und Wein zu kultivieren. Eines der Fotos lenkt denn auch den Blick über eine im Prinzip offene Ebene, die der Mensch in Parzellen geteilt hat, die zwar einerseits Besitzstreben dokumentieren, andererseits aber segensreich Leben spenden.
In den Bildern Anne vom Hofes können selbst wuchernde Pflanzen zu Mauergebilden werden. Die 54-Jährige entdeckt Mauern als Gerüst landwirtschaftlich genutzter Terrassen, und es gelingt ihr, in einunddemselben Motiv die Janusköpfigkeit von Mauern zu dokumentieren. Da ducken sich menschliche Behausungen hinter abweisende Gittertore und Bruchsteinbollwerke, während ein mächtiger Vulkankegel den Hintergrund abriegelt: Sicherheit - eine Illusion, statt dessen bedrohliche Natur.
Wer würde beim Anblick einer Mauer nicht von dem Wunsch gepackt, das Dahinter zu ergründen! Anne vom Hofe spielt mit diesem Drang ins Unendliche und zeigt ein Mosaik auf einer weiß gekalkten Wand, so hell, dass ihre Konturen im Himmel verschwimmen: Das farbenprächtige Motiv (zu sehen im Museum für César Manrique, den »Bevorzugten Sohn« Lanzarotes) scheint direkt ins All gemalt worden zu sein.
Wer sich auf den Rundgang durch das Kirchenschiff begibt, wird überrascht feststellen, dass selbst Schiffe Räume vermauern können, wie ein Doppelmotiv beweist: Auf dem ersten Foto schweift der Blick aus einem in Schwarz getauchten Büro, einer Höhle geradezu, verhältnismäßig leicht über die Kaimauer und die Decksaufbauten zum Meer, doch sobald die Kamera näher heranzoomt, wächst der Kahn ins Riesenhafte - paradoxe Welt: Ein Ding, von Menschenhand fürs Meer geschaffen, verwehrt dem menschlichen Auge den Zugang zur offenen See.
Die Mauer mag als Metapher für den Wunsch des Individuums nach Nähe und Distanz zugleich gelten. Mauern wir uns also ein? Manchmal könnte dieser Eindruck entstehen. Da prallt der Blick auf eine solide Wand, findet Halt nur an einem schmalen Holzbord mit Miniaturbild und Blume im Wasserglas - und wer genau hinschaut, der wird einer halbrunden Struktur unter dem Kalkputz gewahr. Wurde hier etwa ein Rundbogenfenster zugemauert, durch das die Welt einst viel unmittelbarer zu betrachten war? Manche Fotos scheinen allmählich ihre Gegenständlichkeit zu verlieren und sich in abstrakte Flächen aufzulösen: Die nahe Wand rechts teilt das Bild in zwei Rechtecke, das Fenster links zerschneidet die Hauswand in Trapeze, und hinter der Fensteröffnung werden Quadrate sichtbar - Kacheln an der Wand.Warme Farben, rostbraune Töne, dezentes Grün dominieren Anne vom Hofes »Mauer«-Bilder, die sich selbst in den Schutz der Mauern von Altstadt Nicolai zu schmiegen scheinen. Frei kommentierende Texte, aus einem Essay von Nadine Olonetzky in der Kulturzeitschrift »du« fassen in Worte, was das Auge übersehen haben mag. Anne vom Hofe stellt zeitgleich Radierungen und Gemälde in Gilead aus. »Mauern« ist bis zum 14. September zu sehen, montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr, sonntags von 10 bis 12 Uhr.

Artikel vom 21.08.2006