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Der Bombenleger im Fußballtrikot

Der Student gilt als streng gläubiger Muslim, war aber bisher vollkommen unauffällig

Kiel (dpa). Die Anti-Terror-Jagd hat im Morgengrauen des Samstags Kiel erreicht: Ein Bombenleger wird am Hauptbahnhof festgenommen, das Gebäude ist stundenlang gesperrt.

Der 21-jährige Libanese mit dem Vornamen Youssef Mohamad hat seit Februar 2005 im beschaulichen Stadtteil Projensdorf in einem Studentenwohnheim gelebt. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft war er im September 2004 nach Deutschland eingereist und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Stundenlang durchsuchten Beamte am Samstag das Gebäude, in dem der Student der Mechatronik (eine Mischung aus Elektro- und Informationstechnik sowie Maschinenbau) wohnte. Gestern setzten Beamte des BKA Spurensicherung und Befragungen fort.
Im 1. Stock liegt die über Nacht versiegelte Wohnung, »Youssef« steht zwischen Mitbewohnernamen in krakeliger Schrift auf einem Zettel. Das ist auch der Vorname, den Generalbundesanwältin Monika Harms genannt hatte. Darüber ein Aufkleber mit der Aufschrift »ZAFAS«, ausgeschrieben: »Zentrale Anlaufstelle für allen Scheiß«. Das heruntergekommen wirkende Wohnheim ist am Vormittag wie ausgestorben, an der Uni sind Semesterferien. Zwei Polizisten stehen am Eingang, in der Küche spült eine junge Frau eine Pfanne. Sie habe den Libanesen nicht gekannt. »Ich habe ihn nie gesehen.«
Anwohner mögen nicht glauben, dass sie einen Terroristen zum Nachbarn gehabt haben sollen. »Das war ein Schreck«, sagt eine Studentin, die nur wenige Häuser weiter wohnt. In der Nähe durchsuchen Taucher einen Teich, finden außer einem Computergehäuse aber nicht viel.
Als »Bombenleger mit dem Fußballtrikot« war der Libanese wegen seines Auftretens auf den Videobeweisen vom Kölner Bahngleis bekannt geworden. Nach den bisherigen Ermittlungen wollte sich der dunkelhaarige 21-Jährige »absetzen«, wurde aber kurz zuvor beim Anti-Terror-Einsatz am Kieler Hauptbahnhof geschnappt.
Unklar ist bislang, welche Region oder welches Ziel der Mann bei seiner Flucht anvisiert hatte. Nach Medienberichten war er in Kiel als streng gläubiger Muslim aufgetreten, der oft einen Kellerraum des Studentenwohnheims zum Beten aufgesucht haben soll. Außerdem sollen Nachbarn berichtet haben, der bislang unauffällige Student sei vor kurzem in seiner libanesischen Heimat gewesen, weil sein Bruder dort bei einem Raketenangriff ums Leben gekommen sei.
Der nach Kiel geeilte BKA-Präsident Jörg Ziercke freute sich über die schnelle Festnahme. Erst am Freitag hatte das BKA Aufnahmen einer Videokamera der beiden Männer veröffentlicht, die am 31. Juli im Kölner Hauptbahnhof Kofferbomben in zwei Regionalzügen deponiert haben sollen. »Verunsicherung und Fahndungsdruck« hätten zu dem schnellen Erfolg geführt, bilanzierte der BKA-Chef. Hinweise aus der Bevölkerung habe es nicht gegeben.
Die denkwürdigen Ereignisse des Wochenendes beginnen noch in der Nacht gegen 4 Uhr - ein Regionalzug, der nach Hamburg fahren soll, wird gestoppt. Ein 20-Jähriger aus Schönberg bei Kiel war auf dem Weg zur Arbeit. »Plötzlich kam eine Durchsage, dass wir den Zug wieder verlassen sollen«, berichtet er. »Auf dem Bahnsteig lagen zwei Männer in Handschellen auf dem Boden.« Später wird bekannt, wer der eine war. Der zweite Mann hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Beamte hätten Mülleimer und Gepäckstücke durchsucht, schildert der Augenzeuge weiter.
Wer Samstagmorgen Kiel per Bahn verlassen will, wird von weiß-rotem Flatterband rund um den Bahnhof gehindert. Kein Reisender darf hinein. Der Zugverkehr ist lahm gelegt. Ungewisse Spannung liegt in der Luft. Ein Schweriner hat gerade sein Kreuzfahrtschiff verlassen und will zum Zug. Die Urlaubsidylle ist für ihn abrupt vorbei. »Das hängt bestimmt mit unserer Außenpolitik zusammen«, glaubt er.
Kurz vor 9 Uhr öffnet die Polizei wieder die Eingänge zum Bahnhof; die Wartenden strömen hinein, Halle und Bahnsteige füllen sich. Nur Gleis 3 und 4 darf vorerst niemand betreten: Hier sollte der Zug nach Hamburg abfahren, der gegen 4 Uhr gestoppt worden war. Mit geöffnetem Kofferraum steht noch Stunden später ein dunkelblaues Auto auf dem Bahnsteig. In einem kleinen Pavillon durchsuchen Ermittler in weißen Overalls Gepäckstücke. Sprengstoff etwa finden sie nicht.
Als die Züge wieder rollen und die Geschäfte wieder geöffnet sind, wirkt es in Kiel fast, als wäre nichts gewesen. Doch die Terrorangst hat Deutschland an diesem Wochenende fest im Griff: Nach einer Bombendrohung wird der Hamburger Hauptbahnhof am Samstagabend für mehr als zwei Stunden komplett gesperrt. Ein anonymer Anrufer hatte nach Polizeiangaben behauptet, in dem Gebäude eine Bombe versteckt zu haben. Es wurde jedoch nichts gefunden, so dass der Verkehr nach zwei Stunden wieder freigegeben werden konnte. In Bonn, Koblenz, Ludwigshafen und Magdeburg hielten verdächtige Gepäckstücke Polizei und Reisende in Atem. Alle Fälle erwiesen sich als harmlos.

Artikel vom 21.08.2006