22.08.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Lieber jetzt ein wenig Spott ertragen, als nachher viele Dutzend
Särge nach Hause zu führen.«

Leitartikel
Frankreichs Rückzieher

Lieber Spott
als Tod
im Libanon


Von Jürgen Liminski
Da hat der Hahn etwas sehr laut gekräht. Nach den großen Versprechungen Frankreichs im Sicherheitsrat der UNO kommt das Expeditionskorps für den Libanon mit seinen 200 Mann doch recht bescheiden daher.
Hinter vorgehaltener Hand lacht man über Paris. Und in der Tat, die Glaubwürdigkeit der französischen Weltpolitik hat arg gelitten. Man wird den gallischen Hahn demnächst krähen lassen und denken: In den aufgeblasenen Brustkästen von Chirac, de Villepin oder Douste-Blazy steckt doch nur warme Luft. Nur: Der Verlust der internationalen Glaubwürdigkeit dürfte den französischen Spitzenpolitikern durchaus bewusst gewesen sein, als sie verkünden ließen, es kämen nicht dreitausend, sondern nur zweihundert Mann in den Süden des Libanon. Warum also kneifen sie plötzlich?
Paris hat gute Gründe, und die gelten nicht nur für Franzosen, sondern für alle Europäer in der Region. Da ist zum einen die Erkenntnis, dass die Hisbollah sehr viel stärker ist, als man gemeinhin annahm. Die Islamisten-Miliz hat einen ganzen Monat lang einer der stärksten Armeen der Welt standgehalten. Sie ist gut ausgerüstet, ihre Raketen werden zum Teil elektronisch gesteuert, wie der Einschlag auf dem israelischen Kriegsschiff vor der Küste zeigte - übrigens auch eine Lektion für die deutsche Marine. Die modernen Waffen und Raketen kommen aus Syrien und vor allem aus dem Iran.
Dieser Krieg hat bewiesen: Die Hisbollah ist der militärische Arm der iranischen Mullahs in Nahost. Und dieser Arm ist kampfbereit.
Da ist zum zweiten der Blick in die Zukunft. Er hat mit der ersten Lektion zu tun. Sollte die Atomkrise mit dem Iran eskalieren, dann stünden europäische Soldaten im Libanon in der Gefahr, zu Geiseln zu werden. Jeder fremde Soldat in Hisbollah-Land ist ein Stück Erpressungspotential. Und sollten die Kampfhandlungen mit Israel wieder ausbrechen, dann würden diese Truppen automatisch zu »menschlichen Schutzschilden« für die Islamisten, so wie es bei den vergangenen Kämpfen auch der Fall war. Den Europäern ist noch gut die Botschaft des kanadischen Blauhelms im Gedächtnis, der seinen Vorgesetzten per Mail darüber unterrichtete, dass die Hisbollah den UN-Stützpunkt als Schutzschild gebrauchten. Stunden später war er tot.
Eine Bombe unterscheidet nicht zwischen Friedenstruppe und Terroristen. Die Hisbollah würde den Schutz eines französischen Stützpunkts erst recht suchen, weil die israelische Armee wegen der politischen Folgen doch mehr Hemmungen haben könnte, auf solch einen Stützpunkt zu schießen. Ob diese Hemmung besteht, das will Frankreich lieber nicht testen. Und schon gar nicht will man in der Region stationiert sein, wenn Israel und/oder USA einen Angriff gegen iranische Atomanlagen starten. Dann wäre die Lage für europäische Truppen unhaltbar. Also lieber jetzt ein wenig Spott ertragen als nachher viele Dutzend Särge nach Hause zu führen.

Artikel vom 22.08.2006