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Bis zum Aschenbecher alles geregelt

Peter Stoll im WESTFALEN-BLATT-Gespräch zur überbordenen Bürokratie und ihren Folgen

Steinhagen (WB). Schwankende Konjunktur, hohe Abgabenlasten und bald noch die Mehrwertsteuer-Erhöhung: Der heimische Mittelstand hat mit vielen Hemmnissen zu kämpfen. Seit Jahren drängendes Thema ist die Bürokratie. Peter Stoll, Chef der Steinhagener Stoll Gebäudedienste und Obermeister der Gebäudereiniger-Innung, berichtet im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT-Redakteurin Friederike Niemeyer von einem vervielfachten Verwaltungs-Aufwand.

Das Thema Bürokratie-Abbau haben sich alle Parteien auf die Fahnen geschrieben. Wie sieht es derzeit in der Praxis aus?
Peter Stoll: Die Situation verschlechtert sich kontinuierlich. Man hat den Eindruck, wenn ein Formular abgeschafft werden soll, müssen dazu erst fünf neue entwickelt werden. Für uns hat sich der Aufwand in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht.

Was sind die Bereiche, in denen der Schreibkram am meisten zugenommen hat?
Stoll: Das ist bei den Sozialversicherungsbeiträgen, die ja seit dem Vorjahr im Voraus gezahlt werden müssen. Unsere Buchhaltung muss für jeden Beschäftigten bis zum Zehnten des Monats eine Schätzung der Arbeitszeit mit Beiträgen und Steuern vorlegen. Und am Ende des Monats muss dann noch eine Endabrechnung erstellt werden. Dazu kommt die Papierflut bei den An- und Abmeldungen von Beschäftigten, was in unserem Betrieb mit vielen Teilzeitkräften und geringfügig Beschäftigen besonders belastend ist. Oder wenn jemand krank wird. Dann sind schon mal zwei bis drei Stunden Aufwand fällig, weil die Beitragsschätzungen ja nicht mehr stimmen.

Was sind die Folgen für personalintensive Handwerksbetriebe?
Stoll: Die Bürokratie bindet viele Kräfte in den Unternehmen. Und sie behindert auch die Einstellung von Lehrlingen, weil auch da der bürokratische Aufwand groß ist. Wenn man sich als Ausbildungsbetrieb nicht sicher sein kann, dass der oder die neue Kraft auch eine Verstärkung ist, dann lassen viele es lieber gleich. Wir wollen da natürlich gerne einen Beitrag leisten und haben seit Jahren um die 30 Lehrlinge. Aber der Optimierungsbedarf ist groß, auch in der Zusammenarbeit mit den Schulen.

Können Sie konkrete Beispiele für den Bürokratie-Berg nennen?
Stoll: Diese überquellende Ablage (zeigt auf eine Ablage mit einem gut zehn Zentimeter dicken Stapel Formularen), das sind nur die An- und Abmeldungen für zwei Wochen von 250 Leuten bei der Krankenkasse. Und wir allein haben es mit 150 verschiedenen Krankenkassen zu tun. Alles muss dokumentiert werden. Weil wir nicht mehr wissen, wohin mit den ganzen Ordnern, haben wir jetzt extra zwei reine Archivräume eingerichtet.

Wie sieht es bei den Ausschreibungen aus? Da hört man ja auch von steigenden Ansprüchen.
Stoll: Eine Auftrags-Ausschreibung mit allein 60 bis 100 Seiten Vorbemerkungen ist heute eher der Normalfall. Dazu kommen 30 Bescheinigungen, etwa zu Versicherungen oder Gewerbeanmeldung, die ganz aktuell sein müssen. Dann gibt es darin allein 80 bis 100 Seiten, die persönlich unterschrieben werden müssen. 550 Seiten haben wir beispielsweise gerade verschickt nur für ein auf sechs Wochen befristetes Projekt. Dann gibt es auch noch unterschiedliche Arten von Ausschreibungen. In der Ausschreibung für die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt ist seitenlang etwa ganz detailliert aufgeführt, was in den Reinigungsauftrag gehört, bis hin zum Leeren der Aschenbecher und Putzen der Steckdosen-Abdeckung. Wer verfasst so etwas eigentlich? Andererseits ist es natürlich auch schön, dass wir uns als ostwestfälische Firma durch diese Ausschreibungsverfahren um einen solchen Auftrag in Hessen bewerben können.

Sehen Sie keine Wendung zum Besseren?
Stoll: Für uns wird es immer schwieriger, wenn nicht wirklich etwas beim Bürokratie-Abbau geschieht. Zumal sich das Zahlungsverhalten der öffentlichen Hand verschlechtert. Sprich: Auch die öffentlichen Auftraggeber zahlen wegen leerer Kassen möglichst spät. Aber es sieht so aus, als wenn die Politik jetzt an die Ursachen gehen will. Zumindest gibt es Absichtserklärungen. Wichtig wäre es, die Vorauszahlung der Sozialbeiträge wieder zurückzunehmen und die Mehrfachprüfungen durch verschiedene Verwaltungsebenen etwa bei Bau-Anträgen zurückzufahren. Wir haben überbordende Kontrollmechanismen.

Ein Wort zur Anhebung der Mehrwertsteuer?
Stoll: Alles, was mehr Kosten verursachtet, ist kritikwürdig. Andererseits ist es für den Staat viel schwieriger, einzelne Ausgabensenkungen durchzusetzen. Die Mehrwertsteuer trifft alle, und so wirbelt die Anhebung nicht so viel Staub auf.

Auf welchem Kurs sehen Sie Ihr Unternehmen?
Stoll: Wir wollen uns weiter dem Wettbewerb stellen, wachsen und Qualitätsverbesserungen erreichen. Wir wollen in Aktivkosten investieren, nicht in Verwaltung. Vor zwei Jahren haben wir in Wuppertal eine Niederlassung gegründet. Wir haben neue Mitarbeiter eingestellt und interessante Aufträge bekommen. Seit August das Berliner Abgeordeten-Haus Unter den Linden. Wer das Rudern einstellt, wird zurückgetriebenÉ

Artikel vom 24.08.2006