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Endlich wieder Schützenfest!

Auch »Knutschen« in der Raupe war auf dem Johannisberg erlaubt

Bielefeld (WB). »Weißt du noch - morgens Muckefuck und abends Rock'n'Roll im Fürstenhof« - unter diesem Titel hat Frank Tippelt, Redakteur bei der Unternehmensgruppe WESTFALEN-BLATT, ein Buch über die 50er Jahre in Bielefeld geschrieben. Eine Serie beleuchtet einige Kapitel dieser Zeit.

Nach den langen Jahren des Krieges und des Schießverbots in der Nachkriegszeit erlaubt die britische Besatzungsmacht 1949 das Sportschießen. Ein großer Moment für die Bielefelder Schützenvereine: Endlich können sie aus ihren Reihen wieder den Schützenkönig ermitteln, endlich haben Zapfenstreich und Festball, Festakt und Parade wieder eine Bedeutung im öffentlichen Leben.
Bevor sie ihr erstes Schützenfest ausrichten kann, muss die Bielefelder Schützengesellschaft von 1831 Aufbauarbeit leisten. Das Schützenhaus des ältesten Bielefelder Schützenvereins auf dem Johannisberg wurde 1944 von Fliegerbomben schwer zerstört. Heinz Obermann erinnert sich: »Wir fassten neuen Mut und begannen 1950 mit dem teilweisen Wiederaufbau des Schützenhauses. Der komplette Neuaufbau überstieg bei weitem unsere finanzielle Kraft, darum konnten wir zunächst die Veranda und einen kleinen Festsaal neu errichten.«
Nicht alle Bielefelder sind mit dem Neuanfang des Schützenwesens einverstanden, einige halten es nach den leidvollen Erfahrungen des Krieges für nicht zeitgemäß. Auch Heinz Obermann wollte nie wieder eine Uniform anziehen: »Ich war nur passives Mitglied im Verein, von Uniformen hatte ich die Nase voll. Und ich war längst nicht der Einzige, der so dachte. Erst viele Jahre später, 1979, bei einem Schützenfest hat unsere Frau Bürgermeisterin Gisela Schwerdt zu mir gesagt: ÝNa, seien Sie nicht feige, schießen Sie mal mit!Ü Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, legte das Gewehr an und schoss den Restadler ab. So wurde ich im selben Jahr an der Seite von Ursula Berke zum Schützenkönig proklamiert.«
Ungeachtet der Einwände erblüht auch im Umland das Schützenleben. Traditionsvereine wie die Schützengesellschaft des Amtes Heepen seit 1832 rufen ebenso zum Ausmarsch wie neue Schützenvereine, etwa der Sportschützenverein Jöllenbeck 1955 und die Dornberger Schützen, die sich 1953 im Kreuzkrug gründen.
Die Bielefelder Schützengesellschaft zählt zu dieser Zeit 1500 Mitglieder. Entsprechend groß feiert sie fast eine Woche lang ihr Schützenfest und die ganze Stadt feiert mit. Heinz Obermann: »Es gab zwei große Veranstaltungen: am Samstag den großen Zapfenstreich mit Fackelträgern auf dem Alten Markt und den feierlichen Festakt am Sonntag, ebenfalls auf dem Alten Markt.« Hier schreitet das Königspaar vor vielen Zuschauern die angetretenen Formationen ab, anschließend nehmen das Königspaar und die Throngesellschaft die Parade ab. »Das Königsschießen am darauf folgenden Montag war der spannendste Moment«, erzählt Heinz Obermann aus alten Schützentagen. »Und abends luden die neuen Majestäten zum Königsball.«
Fester Bestandteil des Schützenfestes auf dem Johannisberg ist die Kirmes mit dem Festzelt der Schützen auf Neu-Bethlehem. Überall riecht es nach Fischbrötchen und Bratwurst, nach Mandeln, Zuckerwatte und dem Honigkuchen der Bielefelder Schützen. Aus großen Gulaschkanonen dampft eine deftige Erbsensuppe. Losbudenbesitzer versprechen brüllend für ein paar Pfennige das große Glück und stramme Burschen beeindrucken sich gegenseitig beim Hau-den-Lukas.
»Am liebsten«, erzählt Harry Küttner, »fuhren wir mit einer Bahn der Gebrüder Parpalione. Die spielten die besten Rock ÕnÕ Roll-Hits. Man musste nur zum Kassenhäuschen gehen und sich ein Lied bestellen. In der ÝRaupeÜ war auch immer was los. Die hatte ein Verdeck, darunter konnte man während der Fahrt schnell mit seinem Mädel knutschen...«
Auszug aus dem Buch »Weißt du noch - morgens Muckefuck und abends Rock 'n' Roll im Fürstenhof« (Herkules-Verlag, 11,90 Euro) von Frank Tippelt. Das Buch mit Geschichten und Anekdoten aus dem Bielefeld der 50er Jahre erscheint in diesen Tagen. Erhältlich im Buchhandel und in den Westfalen-Blatt-Geschäftsstellen.
Die nächste Folge der Serie lesen Sie Mittwoch, 18. Oktober.

Artikel vom 14.10.2006