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»Frau Renate« sorgt für zufriedene Mienen

Mobile Backberatung - Puddingproben aus dem Werbewagen

Bielefeld (WB). »Weißt du noch - morgens Muckefuck und abends Rock 'n' Roll im Fürstenhof« - unter diesem Titel hat Frank Tippelt, Redakteur bei der Unternehmensgruppe WESTFALEN-BLATT, ein Buch über die 50er Jahre in Bielefeld geschrieben. Eine Serie beleuchtet einige Kapitel dieser Zeit.
Mit dem Wohlstand wächst auch der Appetit auf gutes Essen. Und was liegt näher, als beim Kaufmann um die Ecke Produkte von Dr. Oetker zu verlangen? Backin zu 10 Pfennig, Puddingpulver in verschiedenen Geschmacksrichtungen für 16 Pfennig, das Allzweck-Bindemittel Gustin (52 Pfennig), gern genommen für die Zubereitung von Säuglingsnahrung, und nicht zuletzt die altbewährte Einmache-Hilfe (5 Pfennig).
Der Erfolg der Oetker-Produkte lässt sich sichtbar messen: Machte das Unternehmen 1949, dem Jahr nach der Währungsreform, noch 52,6 Millionen Mark Umsatz, so sind es 1950 bereits knapp 97 Millionen und 1959 gut 108 Millionen Mark.
Um die Popularität der Marke mit dem Hellkopf noch weiter zu steigern, schickt das Unternehmen ab 1951 drei Werbewagen mit großen Glasvitrinen und einem Zeltdach auf die Reise. Zur Besatzung der chromblitzenden Mercedes-Spezialfahrzeuge mit eigenem Stromgenerator im Anhänger gehören zwei Mitarbeiterinnen der hauseigenen Versuchsküche, zwei Fahrer und ein »Werbewagen-Bezirksreisender«, der vertrauensvoll Verbindung zum regionalen Einzelhandel aufnehmen soll. Bis zu 1500 Portionen Pudding werden morgens im Bielefelder Werk gekocht und am Zielort als Kostproben ausgegeben. Dazu gibt es Straßenwerbung mit Musik aus riesigen Lautsprechern, Kasperle-Theater für die Kinder und Vorträge für die Hausfrauen. Die finden im Sommer im eigenen Zelt, im Winter in gemieteten Sälen statt. Neben den drei Werbebussen geht eine Flotte kleiner VW-Transporter mit der Aufschrift »Dr. Oetker Hausfrauenberatung« auf Tour. 1959 fahren die Werbewagen ein letztes Mal. Werbestände in Lebensmittelgeschäften, Hauswirtschaftsberatung und vor allem die Fernsehreklame machen die mobile Backberatung überflüssig.
Die Werbung treibt es inzwischen bunt. Zwar kommen Farben im Schwarzweiß-Fernsehen nicht zur Geltung, doch Anzeigen und Plakate leuchten in knalligen Farben. Die neue Begleiterin im Haushalt ist seit 1954 »Frau Renate«. Mit ihr soll sich die moderne Frau identifizieren: Sie ist jung, tüchtig, berufstätig. Nach der Arbeit und am Wochenende kümmert sie sich rührend um die Familie. Hannelore Cremer verkörpert den neuen Frauentyp; die Schauspielerin gibt »Frau Renate« elf Jahre lang Gesicht und Stimme. Mit dem Slogan »Zufriedene Mienen danken es Ihnen« wird Hannelore Cremer einem Millionenpublikum bekannt. Das Vertrauen der Deutschen in »Frau Renate« ist enorm, so groß, dass täglich unzählige Briefe mit Rezeptanfragen, aber auch mit der Schilderung privater Probleme das Werk an der Lutterstraße erreichen. Zur Bewältigung der Post an »Frau Renate« richtet Dr. Oetker eigens ein Büro ein.
Auszug aus dem Buch »Weißt du noch - morgens Muckefuck und abends Rock 'n' Roll im Fürstenhof« (Herkules-Verlag, 11,90 Euro) von Frank Tippelt. Das Buch mit Geschichten und Anekdoten aus dem Bielefeld der 50er Jahre erscheint in diesen Tagen. Erhältlich im Buchhandel und in den Westfalen-Blatt-Geschäftsstellen.
Folge vier der Serie lesen Sie am Samstag, 8. Oktober.

Artikel vom 02.10.2006