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Gute Butter und falscher Hase

Bescheidene Wünsche: Die Läden sind voll, doch es fehlt an Geld

Bielefeld (WB). »Weißt du noch - morgens Muckefuck und abends Rock 'n' Roll im Fürstenhof« - unter diesem Titel hat Frank Tippelt, Redakteur beim WESTFALEN-BLATT, ein Buch über die 50er Jahre in Bielefeld geschrieben. Eine Serie beleuchtet einige Kapitel dieser Zeit.
In den privaten Haushalten ist oft noch Schmalhans Küchenmeister. Braten gibt es nur sonntags, in der Woche steht Eintopf auf dem Tisch. Auch gute Butter ist teuer: Oft kommt Margarine unter die dünnen Wurstscheiben aufs Brot. Wer kann, der baut im Garten Gemüse zum Eigenverzehr an oder tauscht es gegen Dinge, die im Laden teuer sind. Mit Kleintierhaltung bessern sich die Bielefelder den Speiseplan auf. Wer weder Garten noch Stall hat, der hilft sich, so gut er kann: Obst wird eingeweckt und Marmelade gekocht, Hering eingelegt und Sülze zubereitet.
Die Läden sind voll, doch nicht selten muss ein Vier-Personen-Haushalt mit 25 Mark die Woche auskommen: Während Grundnahrungsmittel erschwinglich sind, können Normalverdiener Kaffee (10 Mark das Pfund!), Schokolade, Konditorwaren, Feinkost und Spirituosen kaum bezahlen. Das »Konsumbrot« genannte dunkle Graubrot von drei Pfund kostet 72, ein Roggenmischbrot 98 Pfennig. Kartoffeln und Gemüse gehen ebenfalls für Pfennige über den Ladentisch. Sonderangebote sind unbekannt, man geht mit klaren Vorstellungen in den Laden: »Wir kauften, was wir kannten und was wir brauchten«, sagt Herbert Schröder. Er gehört mit zwei Mark Stundenlohn zu den besser Verdienenden. Doch sparen muss auch seine Familie: »Nur sonntags kam Fleisch auf den Tisch, oft Hackbraten, verlängert mit Weißbrot.«
Supermärkte verteilt über die ganze Stadt sind Zukunftsmusik, der erste wird in der Bahnhofstraße unter dem Namen EKLÖH eröffnet. »Lebensmittel aus dem Supermarkt - das war eine Sensation!«, sagt Loretta Garthoff. Bald darauf eröffnet in der Feilenstraße das zweite Geschäft dieser Art, Deutscher Supermarkt genannt. Und noch ein Laden macht Furore: das Hammonia. Die Spezialität dort ist Butter vom Fass: „Ein viertel Pfund süße und ein viertel Pfund gesalzene bitte!“ - hunderte Klumpen Butter werden täglich auf Brettchen in Form gebracht, bevor sie als Zierde des Sonntagstisches den Gaumen erfreuen.
Alltägliche Dinge kaufen die Bielefelder in der Nachbarschaft, im kleinen Laden mit überschaubarem Angebot. Überall reiht sich Bäcker an Schlachter an Milchladen an Drogerie - in fast jedem Haus ist ein Geschäft. Wobei feste Spielregeln gelten: Sozialdemokraten kaufen nur im Konsum!
Oft hilft die ganze Familie im Laden mit, wie im Geschäft von Heinrich Fleer am Heimweg: Die Bäckerei mit kleinem Edeka-Laden wird vom Vater geführt, Verkäuferinnen stehen hinter dem großen Verkaufstresen, in dem die besseren Waren appetitlich präsentiert werden, und bedienen jeden Kunden einzeln. Sohn Heinrich arbeitet mit den Bäckergesellen in der Backstube. Oft müssen die Bäcker Sonderwünsche erfüllen. »Lohnbacken« gehört bis Mitte der 50er Jahre zum Alltag der rund 120 Bäckereien in Bielefeld. Vor Feiertagen und großen Familienfesten schleppen die Familien Bleche und Formen mit fertigem Teig in die Bäckerei und lassen ihn »abbacken«, wie die Bäcker die wenig einträgliche Arbeit nennen.
Viele Lebensmittel lagern in Säcken hinter dem Verkaufstresen: Zucker, Mehl, Rosinen werden abgewogen und in Papiertüten verpackt, ebenso Hülsenfrüchte und Rübenkraut: »Darf es ein bisschen mehr sein?« Marmelade und Senf kommen in großen Eimern. »Jeder brachte sein Pöttken mit und ließ abwiegen«, sagt Heinrich Fleer. Ist der Einkauf in den Netzen und Ledertaschen verstaut, genügt ein prüfender Blick zum Nachwuchs. War er lieb, gibt es einen Dauerlutscher oder ein Bonbon aus dem großen Glas, das der Kaufmann wohlwollend hinüberreicht. Heinrich Fleer: »Und wenn der Mann artig war, bekam er eine Schachtel Eckstein.«
Auszug aus dem Buch »Weißt du noch - morgens Muckefuck und abends Rock 'n' Roll im Fürstenhof« (Herkules-Verlag, 11,90 Euro) von Frank Tippelt. Das Buch mit Geschichten und Anekdoten aus dem Bielefeld der 50er Jahre erscheint in diesen Tagen. Erhältlich im Buchhandel und in den Westfalen-Blatt-Geschäftsstellen.
Folge drei lesen Sie am Montag, 2. Oktober.

Artikel vom 30.09.2006