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Das verwahrloste Wahrzeichen

Neues Heft der »Ravensberger Blätter« zu Sparrenburg und Tourismus

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Welches Wahrzeichen thront über der Stadt? Und welchen historischen Bau müssen sich Touristen auf eigene Faust erschließen? Eben. Das neue Heft der »Ravensberger Blätter«, das der Sparrenburg gewidmet ist, legt den Finger in eine offene Wunde.

Die Aufsätze zur Geschichte der Burg haben alle ihre Leser verdient, zentrale Bedeutung kommt jedoch Enno Linkmeyers Beitrag zu, der die Arbeit des »Arbeitskreises Burg und Festung Sparrenberg« vorstellt. Der AK, dem Historiker, Architekten, Lehrer und Medienfachleute angehören, legt hier nicht weniger als ein höchst bedenkenswertes Konzept für die Nutzung der Burg vor.
Linkmeyer geizt nicht mit deutlichen Worten. Rund um die Sparrenburg liegt fast alles im Argen. Einbettung in die Historie? Fehlanzeige. Archäologische Erforschung? Undenkbar. Überregionale Veranstaltungen? Nicht der Rede wert. Gastronomie? Verbesserungswürdig. Kein Burg-Shop, der klingende Münze verspräche, keine Hinweis auf die seltenen Fledermausarten in den Kasematten, vor allem aber: kein Museum.
Der Arbeitskreis beweist, dass es auch anders geht. Es muss das stolze »Oberzentrum« besonders beschämen, dass kleine Orte (Hameln, Oerlinghausen, das - problematische - Kalkriese, Büren mit seiner Wewelsburg und andere) ihre historischen Schätze viel ideenreicher inszenieren. Verdienstvoll ist Linkmeyers Ansatz, das Konzept sozialtheoretisch zu unterfüttern - nicht auszudenken, wenn die Sparrenburg mickymausiert würde. Man bewahre uns vor einer »Erlebniswelt«.
Statt dessen: »Lebendiges Geschichtsforum«. Die »Ravensberger Blätter« haben den Mut und den Weitblick, ein von Michael Veldkamp pädagogisch und didaktisch gesichertes Konzept zu veröffentlichen - fast wie auf einer Strichliste lassen sich einzelne Punkte abhaken.
Der Grundgedanke der touristischen Erschließung der Burg schwingt auch in den anderen Beiträgen mit. Andreas Kamm skizziert die Baugeschichte, was angesichts der lückenhaften Quellenlage nicht einfach ist. Um so verdienstvoller ist sein detaillierter Überblick, in dem es an Mahnungen nicht fehlt. Wussten Sie, dass die letzten - unzureichenden - Ausgrabungen vor 100 Jahren stattfanden? Und man bedenke: Der schadstoffbelastete Boden konserviert Fundstücke nicht ewig!
Gerd Bobermin porträtiert die Burg im Spannungsfeld von Dichtung und Wahrheit, beschäftigt sich mit legendenhaft ausgeschmückten Geschichten und erhellt schlaglichtartig so manche historisch verbürgte Episode wie das Nachtlager eines veritablen Kaisers und das Elend eines zur Schau gestellten Wiedertäufers. Ein wenig beachtetes Kapitel schlagen Joachim Wibbing und Bernd J. Wagner auf, die die Funktion der Burg als Gefängnis untersuchen. Welches Los Straftäter in 140 Jahren (bis 1875) zu ertragen hatten, wird in diesem sehr lebendigen, quellengesättigten Aufsatz plastisch vorgeführt.
Fantasy-Bau oder identitätsbildendes Wahrzeichen? Harald Wixforth stellt uns die Frage, welchen Platz die Burg im Bewusstsein der Bielefelder einnimmt.
Ein Plan der Burg und mehrere Schnittzeichnungen, dazu qualitativ hochwertige Fotos machen das ohnehin spannende Thema auch sinnlich erfahrbar. Fazit: Die gewohnt sorgfältig alle Kräfte zusammenführende Redaktion, bestehend aus den Historikern Bärbel Sunderbrink und Dr. Martin Tabaczek, hat einmal mehr Großartiges geleistet. Die »Ravensberger Blätter« gibt es zum Preis von vier Euro - plus Porto und Verpackung -Ê im Stadtarchiv (Rohrteichstraße 19; Tel.: 51-2469).

Artikel vom 19.08.2006