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Einberufungsbefehl war nicht misszuverstehen

Wahrheitsgehalt der Autobiographie des Günter Grass' sollte sorgfältig geprüft werden



Als Zeitzeuge habe ich das »FAZ«-Interview mit Günter Grass mit großem Interesse gelesen und mit meinen Erfahrungen aus dieser Zeit verglichen. Ich bin zwei Jahre älter als Grass, aber die Kriegsjahre haben uns gleichermaßen stark geprägt und die Erinnerungen wachgehalten. Merkwürdigerweise versagen bei Grass aber die Erinnerungen, in einigen wesentlichen Punkten. Zitat: »An der Stelle wird's undeutlich, weil ich nicht sicher bin, wie es war...«.
Zunächst einmal: Auch wir waren als Hitlerjungen mit vielen hundert Mann (mein Jahrgang 1925) in eine Stuttgarter Turnhalle befohlen, wo ein höherer SS-Führer für den Eintritt in die Waffen-SS warb. Jeder musste anschließend an einem Bürotisch mehreren SS-Männern gegenübertreten und erklären, ob er in die Waffen-SS eintreten wolle. Auf meine Erklärung, ich würde mich freiwillig zur Wehrmacht melden, kamen keinerlei Gegenfragen oder irgendein Druck.
Das Gespräch war in 30 Sekunden beendet, und nie wieder hat mich irgendjemand bedrängt, in die Waffen-SS einzutreten. Mag sein, dass dies je nach Ort und Zeit unterschiedlich gehandhabt wurde. Ich jedenfalls habe meine Zweifel an denen, die angeblich zum Dienst in der Waffen-SS gezwungen wurden.
Wirklich grotesk ist nun aber Grass' Einlassung, er habe, als er den Einberufungsbefehl bekam, »vielleicht erst in Dresden« festgestellt, dass er bei der Waffen-SS gelandet war. Hat er denn angenommen, er sei zur Heilsarmee einbestellt worden? Klar ist: Auf jedem Einberufumgsbefehl war selbstverständlich kristallklar ausgewiesen, wann und wo und bei welcher Einheit sich der Betreffende einzufinden hatte. Eine Verwechselung zwischen Wehrmacht und Waffen-SS war selbst für einen Unbedarften völlig ausgeschlossen.
Frage also: Warum haben die Interviewer der »FAZ« hier eigentlich nicht sofort nachgehakt und Grass auf sein offesichtliches Geflunker hingewiesen? Und: Warum haben sie Grass eigentlich nicht auf seine bösartige Polemik gegen den Besuch von Reagan und Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg angesprochen, wo auch SS-Männer begraben liegen? Was sagt denn der Panzerschütze der 10. SS-Panzerdivision »Frundsberg«, Günter Grass, dazu?
Wer wie Grass 62 Jahre vergisst oder verdrängt, der Waffen-SS angehört zu haben, hat keinerlei Legitimation, irgendjemanden mit Gehässigkeit und Häme zu überziehen. Auch der Wahrheitsgehalt seines neuen Buches wird besonders sorgfältig zu prüfen sein.
Dr. ALFRED ZUBLER
33659 Bielefeld

Artikel vom 17.08.2006