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Sie tanzten sich hinauf zu den Sternen

Zwillingspaar Alice und Ellen Kessler feiert 70. Geburtstag und denkt noch nicht ans Aufhören

München (dpa). Sie waren die »Königinnen des Tanzes« und die »erfolgreichsten deutschen Show-Exporte aller Zeiten«: Alice und Ellen Kessler, das blonde Zwillingspaar aus Sachsen, das sich mehr als 50 Jahre lang über die großen Bühnen der Welt und in die Herzen der Fans sang und tanzte.
Die Zwillinge Ellen (links) und Alice Kessler feiern am Sonntag den 70. Geburtstag.

Am Sonntag werden Alice und Ellen Kessler 70 Jahre. Ans Aufhören denken sie aber noch lange nicht. »Das Jahr war sehr geschäftig für uns, aber wir wollen es jetzt doch etwas ruhiger angehen lassen und nehmen nicht mehr alles an«, sagt Alice Kessler.
Geplant war die Bilderbuchkarriere der Blondinen, die in Nerchau als Töchter des Ingenieurs Paul Kessler zur Welt kamen, nicht. Alice, die 28 Minuten ältere Schwester, wollte ursprünglich Modezeichnerin werden, Ellen zog es in die Medizin. Ballettunterricht nahmen die Zwillinge als Sechsjährige nur, weil ihr Vater wollte, dass sie sich graziös bewegten. Dann aber entdeckten sie ihre Liebe zum Tanz, und die alten Berufswünsche waren schnell vergessen. 1947 nahm das Kinderballett der Leipziger Oper die Beiden auf, 1950 ertanzten sie sich die Aufnahme in der Operntanzschule mit Auszeichnung.
Als die Familie 1952 ein Besuchervisum zur Flucht aus der DDR nutzte, tanzten die Mädchen in der Bundesrepublik weiter: noch 1952 wurden sie vom Düsseldorfer Revuetheater »Palladium« engagiert, drei Jahre später entdeckte sie der Direktor des Pariser »Lido«, Pierre Louis Guerin, und verpflichtete sie für sein Varieté auf den Champs- ƒlysées. Für die nicht einmal 20-jährigen Mädchen erfüllte sich damit ein Traum: »Wir haben geglaubt, die Sterne zu erreichen, als wir am ersten Abend zum Arc de Triomphe gingen«, erzählt Ellen Kessler später.
Doch den Sternen sollten sie noch viel näher kommen: Die Kessler-Schwestern tanzten sich in einem Jahr an die Spitze der weltberühmten Tanzgruppe »Blue Bell Girls«, als ihr Vertrag im »Lido« auslief, gingen sie auf Tour und begeisterten auf Showbühnen, in Filmen und Fernsehshows überall auf der Welt mit ihrer oft gelobten »brillant-perfekten Tanzkunst im Revuestil«. Von Japan bis Südamerika und von Australien bis Italien tourten die Beiden, kamen dabei in Tuchfühlung mit fast allen Stars ihrer Zeit: Frank Sinatra und Elizabeth Taylor, Fred Astaire und Sammy Davis jr., keiner der großen Namen fehlt in ihrer Liste.
Ihr Ruhm ging sogar soweit, dass sie eine Rolle im Elvis-Presley-Film »Viva Las Vegas« ausschlugen. »Das Wichtigste in diesem Leben ist, ÝneinÜ sagen zu können.« Allein das Privatleben der Blondinen blieb bei ihrem raschen beruflichen Tempo auf der Strecke: Obwohl beide zeitweise feste Beziehungen pflegten, hat keine je geheiratet. Die Gründe, die sie dafür ins Feld führen, sind zahlreich: die schwierige Kindheit, der alkoholabhängige Vater, die Liebe zur Unabhängigkeit.
Damit auch die Schwester die Freiheit nicht stört, ist das gemeinsame Haus in Grünwald von einer Trennwand durchzogen: So seien sie unabhängig, aber nie einsam. Etwa zum Essen - am liebsten italienisch oder chinesisch - laden sie sich aber gegenseitig ein. Ihren Geburtstag feiern sie gemeinsam im kleinen Kreis in Positano in Italien.

Artikel vom 17.08.2006